Sie haben das Recht zu schweigen. Henryk M. Broders Sparring-Arena

Henryk M. Broder

10.02.2010   23:32   +Feedback

Die Karen von der FAZ

Wenn jemand bei der Aufzählung der in der Türkei lebenden religiösen Minderheiten von “Armeniern, Juden und Christen” spricht, dann beweist er bzw. sie eine enorme Kenntnis sowohl der Geschichte wie der Gegenwart. Um noch genauer zu sein, sollte es eigentlich “Armenier, Christen, Juden und Hebräer” heissen, denn wenn schon die Kinder von Gregor dem Erleuchter als Armenier und Christen doppelt gezählt werden, dann müssten auch die Urenkel von Abraham als Hebräer und Juden verbucht werden.

Aber lassen wir das. Nicht jeder Feuilletonist bzw. jede Feuilletonistin muss wissen, dass die Armenier das älteste christliche Volk auf Gottes großer Erde sind, dass sie seit dem Jahre 301 eine eigene Staatskirche haben, die viel älter ist als die Kurie in Rom und der Episkopat Polski. In Rom und Tschenstochau wurden noch wilde heidnische Feste gefeiert, da hatten die christlichen Armenier bzw. armenischen Christen schon eine sehr eigene christliche Liturgie.

Was der allseits gebildete Feuilletonist bzw. die Feuilletonistin aber wissen sollte, das ist, wie es den Armeniern in der Türkei heute geht, nämlich ziemlich beschissen. Nicht nur, dass sie 1915 dezimiert wurden und seitdem darauf warten, dass die Türken diesen Massenmord am Rande des Ersten Weltkrieges als Genozid anerkennen, noch 1955 gab es in der Türkei Pogrome gegen nichtmuslimische Minderheiten der Aramäer, Armenier, Griechen und Juden. Heute werden Armenier immer noch an der Ausübung ihrer Religion gehindert und im zivilen Leben benachteiligt. Etwas besser geht es den türkischen Juden, aber nur so lange, wie sie sich nicht als Zionisten zu erkennen geben.

Die Ermordung des türkisch-armenischen Schriftstellers Hrant Dink Anfang 2007 hat die ungelöste “armenische Frage” wieder ins Bewusstsein der Öffentlichkeit gerückt. Zur Zeit seines gewaltsamen Todes waren gleich drei Verfahren wegen “Beleidigung des Türkentums” gegen Dink anhängig, u.a. deswegen, weil er in einem Artikel geschrieben hatte, durch den Völkermord im Jahre 1915 sei “ein Volk, das 4000 Jahre auf diesem Boden gelebt hat, ausgemerzt worden”.

Die bestialische Ermordung dreier Missionare, ebenfalls 2007,  in der Stadt Malatya, denen die Kehlen durchgeschnitten wurden, war nicht nur die Tat fanatischer Einzelgänger, sie war auch das Ergebnis eines gesellschaftlichen Klimas, in dem das Leben von Anders- und Ungläubigen weniger wert ist als das Leben eines “richtigen” Türken.

Man kann also in der Tat fragen, wie es den religiösen Minderheiten in der Türkei so geht, was ihnen Sorgen macht und worauf sie hoffen. Bei Karen Krüger in der FAZ liest sich das so:

“Die religiösen Minderheiten aber, Armenier, Juden und Christen, von denen viele mit der Regierung Erdogan und dessen Bestrebungen auf einen EU-Beitritt die Hoffnung auf mehr religiöse Rechte verbinden, sind entsetzt: Europa ist für sie immer noch der Ort der Toleranz und Religionsfreiheit. Verbote, die auf dem von Henryk M. Broder propagierten „Wie du mir, so ich dir“ beruhen würden und die Grundwerte aushebeln müssten, können sie nicht gebrauchen.”
http://www.faz.net/s/Rub117C535CDF414415BB243B181B8B60AE/Doc~EBC7F1D2925434C94A494393FA2F54F98~ATpl~Ecommon~Scontent.html?rss_aktuell

Interessant. Frau Krüger ist also kreuz und quer durch die Türkei gefahren, hat sich überall als “die Karen von der FAZ” vorgestellt und die Angehörigen der religiösen Minderheiten befragt. Und wo immer sie auftauchte, bekam sie das Gleiche zu hören. Die Armenier, Juden und Christen waren “entsetzt” - nicht über ihre eigenen Lebensumstände in der Türkei, sondern über den Zustand der Toleranz und der Religionssfreiheit in Europa. Am meisten entsetzt waren sie über “Verbote”, die auf dem von mir propagierten “Wie du mir, so ich dir” beruhen würden, wie zuletzt das von mir geforderte und durchgesetzte Minarettverbot in der Schweiz.
Und wo immer die Karen von der FAZ hinkam, wurde ihr aufgetragen, mir auszurichten, eine solche Aushebelung der Grundwerte könnten “sie nicht gebrauchen”.
Davon abgesehen geht es den Armeniern, Juden und Christen in der Türkei total gut. Und sie freuen sich schon auf den nächsten Besuch der Turkologin, die sich mit der Situation der Frauen in Anatolien beschäftigen will, deren größte Sorge die Lage der alleinerziehenden Mütter in Mecklenburg-Vorpommern ist.

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