Sie haben das Recht zu schweigen. Henryk M. Broders Sparring-Arena

Henryk M. Broder

18.01.2010   00:21   +Feedback

Die Stunde der Komödianten 1

“Was hat es mit dem Ereignis des Holocaust auf sich?” fragen ein paar Nachwuchshistoriker aus Deutschland und Polen und laden zu einem “Workshop zur Geschichte der Konzentrationslager” nach Auschwitz-Birkenau ein, wo sie über “Neue Perspektiven der Konzentrationslagerforschung: Ort, Ereignis und Gedächtnis” labern wollen, bis der Schornstein qualmt. Interessierte werden gebeten, Abstracts ihrer Vorträge bis zum 15.2. einzuschicken. Das ist die “Deadline”.
Das akademische Jungvolk, das Dank der Gnade der späten Geburt um die Erfahrung gekommen ist, als SS-Mann oder Frau Dienst an der Rampe schieben zu können, zieht es mit magischer Gewalt an den Ort der Verbrechen ihrer Vorfahren zurück. Und so wie sie sich nichts dabei denken, im Zusammenhang mit Auschwitz von einer Deadline zu reden (Redaktionsschluss wäre nicht romantisch genug), so macht es ihnen nichts aus, von einer “Europäisierung und Internationalisierung des Holocaust” zu phantasieren, die “eine Pluralisierung der Konzepte und Kontexte” begründet. Ja, wer zum Onanieren zu blöd ist, der muss sich eben einen dekonstruieren:
“Darüber hinaus sollen die universell aus dem Holocaust abgeleiteten politik- und handlungsleitenden Imperative dekonstruiert und auf ihre Bedeutung für die Wahrnehmung des Holocaust befragt werden.”

Hier die komplette Projektbeschreibung:

16. Workshop zur Geschichte der Konzentrationslager
Neue Perspektiven der Konzentrationslagerforschung: Ort, Ereignis und Gedächtnis
Veranstalter:
Imke Hansen, Enrico Heitzer, Marco Kühnert, Katarzyna Nowak (Organisationsteam) in Zusammenarbeit mit dem Staatlichen Museum Auschwitz-Birkenau (Dr. Piotr Cywinski) und dem Historischen Seminar der Universität Hamburg (Prof. Dr. Frank Golczewski).
Datum, Ort:
21.-26.05.2010, Staatliches Museum Auschwitz-Birkenau , Internationale Jugendbegegnungsstätte O?wi?cim
Deadline:
15.02.2010
Die im Mai 2010 in Auschwitz/O?wi?cim stattfindende Tagung gehört zur Reihe der seit 1994 jährlich (mit Ausnahme von 2009) stattfindenden „Workshops zur Geschichte der nationalsozialistischen Konzentrationslager“, die in wechselnden Konstellationen von den Teilnehmenden selbst organisiert werden. Der Workshop bildet ein Forum für NachwuchswissenschaftlerInnen verschiedener Disziplinen, die zur Geschichte und Nachgeschichte der NS-Konzentrationslager sowie zu Erinnerungspolitiken und -kulturen forschen und/oder praktisch arbeiten.
Wie in den Jahren zuvor, wird auch dieser Workshop eng an eine Gedenkstätte angebunden stattfinden: im Jahre 2010 ist dies das Staatliche Museum Auschwitz-Birkenau.
Die Abschlusserklärung des im Jahre 2000 in Stockholm tagenden „International Forum on the Holocaust“, dass der Holocaust für immer im kollektiven Gedächtnis verankert bleiben müsse und für alle Zeit von universeller Bedeutung sein solle, nimmt der Workshop als Imperativ auf: Er wird sich vorrangig erinnerungskulturellen Fragestellungen widmen. Dabei sollen vor allem Prozesse der Europäisierung, Internationalisierung und Universalisierung des Holocaust in den Blick genommen und hinsichtlich ihrer Einflüsse auf Konzentrationslagerforschung und Gedenkstättenarbeit untersucht werden. Darüber hinaus wird der Workshop verschiedene Forschungsperspektiven zur Geschichte der nationalsozialistischen Konzentrationslager, zum Holocaust sowie weiteren NS-Massenverbrechen integrieren.
„Neue Perspektiven der Konzentrationslagerforschung“ sollen während des 16. Workshops im Rahmen dreier Themenkomplexe bzw. Kategorien diskutiert werden:
(1) Ort
(2) Ereignis
(3) Gedächtnis: Europäisierung, Internationalisierung und Universalisierung des Holocaust
(1) In Wissenschaft und öffentlichem Bewusstsein stellen die Konzentrationslager das charakteristische Herrschafts- und Verfolgungsinstrument des NS-Regimes von 1933-1945 dar. Sie waren Haftstätten sowie Zwangsarbeits-, Folter- und Sterbeorte für Millionen von Menschen. Der erste Themenkomplex fragt nach der Geschichte dieser „Orte des Terrors“. Dabei soll nicht nur der Ort selbst im Mittelpunkt stehen, sondern auch seine Beschaffenheit. In diesem Teilbereich können etwa Arbeiten über die Entwicklung, Struktur oder Insassen der Lager, über Wahrnehmungen der Opfer, aber auch über Soziologie oder Sinnwelt der NS-Täter integriert werden. Die Raumkategorie kann selbstverständlich auch auf die Entwicklung des Raumes in der Nachgeschichte der Lager bezogen werden und bildet damit eine analytische Brücke zwischen Ereignisgeschichte und Erinnerungsgeschichte.
(2) „Was hat es mit dem Ereignis des Holocaust auf sich? Welche Bedeutung kommt ihm zu? Zieht seine traumatische Wirkung allein den zivilisatorischen Erwartungshintergrund des Westens in
Mitleidenschaft?“ Diesen Fragen Dan Diners aus dem Jahre 2007 widmet sich der zweite Themenkomplex. Es sollen Ereignischarakter, Rezeptionen und Kontextualisierungen diskutiert und hinterfragt werden. In diesem Themenblock können neue Detailforschungen zur Genese sowie zum Verlauf des Holocaust, zu bestimmten Verfolgtengruppen, sowie deren Perzeption und interpretatorischer Einordnung präsentiert werden.
(3) Die „Konjunktur der Erinnerung“ resultierte unter anderem aus der postkommunistischen Öffnung, der Liberalisierung und der Nationalisierung der verschiedenen, vor allem mittel- und osteuropäischen Diskurse. Dabei entwickelte sich der Holocaust zu einem historischen Bezugspunkt, der politische und kulturelle Normen determiniert. Die Europäisierung und Internationalisierung des Holocaust begründete eine Pluralisierung der Konzepte und Kontexte. Damit einher geht ein Trend zur Universalisierung des Holocaust. Daniel Levy und Natan Sznaider konstatierten 2001, dass der Holocaust zu einem universalen legitimatorischen Anknüpfungspunkt für unterschiedlichste Opfergruppen geworden sei. Gleichzeitig wird der Holocaust in ethischen Diskursen zunehmend auf universell anwendbare Einzelaspekte reduziert. Beispielhaft hierfür steht die Integration des Holocaust in einen internationalen Gewalt- und Menschenrechtsdiskurs, durch welchen „der Holocaust als allgemeines Symbol des Bösen“ (Katja Köhr und Simone Lässig 2007) international gesetzt wird.
Im dritten Themenblock soll nach den Prozessen gefragt werden, die einerseits zu der zentralen erinnerungskulturellen Stellung des Holocaust in Europa und andererseits zu seiner Internationalisierung geführt haben. Dabei sollen die unterschiedlichen Memorialkulturen anhand konkreter Gedenkstätten, Symbole und Gedächtnisse, sowie verschiedene Einflussfaktoren (wie etwa die zunehmende Medialisierung der Erinnerung) diskutiert werden.
Darüber hinaus sollen die universell aus dem Holocaust abgeleiteten politik- und handlungsleitenden Imperative dekonstruiert und auf ihre Bedeutung für die Wahrnehmung des Holocaust befragt werden. Gleichzeitig soll diskutiert werden, ob und inwiefern das derart universalisierte Holocaust-Narrativ andere Erinnerungen und Gedächtnisse verdrängt oder überschreibt.
Letztlich ist zu diskutieren, ob und wie nach dem absehbaren Ende der Zeitzeugenschaft und dem zunehmenden zeitlichen Abstand dauerhaft sichergestellt werden kann, dass sich das nun etablierte, scheinbar hochgradig konsensuale Narrativ über den Judenmord nicht wieder „verblasst“ oder leblos erstarrt und damit seine Bedeutung, beispielsweise in der Gedenkstättenpädagogik, einbüßt. Fragen der Gedenkstättenarbeit und der Gedenkstättengestaltung sind im Kontext der skizzierten internationalen Prozesse zu diskutieren.
Die Vorträge sollen den Charakter zwanzigminütiger Impulsreferate haben, an die sich jeweils vierzigminütige Diskussionen anschließen werden. Die Tagung besitzt einen Werkstattcharakter, die Diskussion von offenen Fragen steht im Vordergrund. Es ist geplant, die Beiträge im Anschluss an den Workshop in einem Tagungsband zu veröffentlichen.
Das Call for Papers richtet sich an fortgeschrittene Studierende, Post-Graduierte und Promovierende aus Europa und außereuropäischen Staaten, die sich in ihren Arbeiten und Projekten mit der Geschichte und Nachgeschichte der Konzentrationslager auseinandersetzen.
Tagungssprachen sind Deutsch und Englisch.
Wir bitten alle Interessierten, bis zum 15.02.2010 ein einseitiges Abstract ihres geplanten Vortrages sowie eine Kurzbiographie an folgende E-Mail-Adresse zu senden:
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Die Benachrichtigung der ausgewählten ReferentInnen erfolgt bis zum 05.03.2010. Unterbringungskosten und ein Teil der Reisekosten werden übernommen.
Das Organisationsteam Imke Hansen, Enrico Heitzer, Marco Kühnert, Katarzyna Nowak

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