Sie haben das Recht zu schweigen. Henryk M. Broders Sparring-Arena

Henryk M. Broder

07.01.2010   13:34   +Feedback

Windiges aus der Luftfahrt

Zu Jahresanfang passierte auf dem Flughafen von Dortmund ein Zwischenfall. Eine Maschine der Air Berlin mit 165 Passagieren Bord musste den Start abbrechen und kam erst außerhalb der Piste zum Stehen. Verletzt wurde niemand. Die Urlauber, unterwegs nach Gran Canaria, wurden zuerst psychologisch betreut und konnten danach die Reise mit Bussen zum nächstgelegenen Flughafen fortsetzen, wo eine Ersatzmaschine auf sie wartete.

Auf diese Weise erfuhr die deutsche Öffentlichkeit, dass Dortmund einen Flughafen hat. Die Überraschung wäre sicher noch größer gewesen, wenn die katastrophenbegeisterten Zeitungsleser nicht mit einem anderen Thema aus der Abteilung „Windiges aus der Luftfahrt“ beschäftigt gewesen wären: der bevorstehenden Einführung der so genannten „Nacktscanner“. Vor zwei Jahren noch von maßgeblichen Sicherheitsexperten als „Unsinn“ abgetan, werden sie nun von den selben Experten (Bosbach, de Maiziere) als die Ultima ratio gepriesen, um potentielle Attentäter und Flugzeugentführer abzuschrecken bzw. rechtzeitig aufzuspüren.

Mit einer kindlichen Freude am technischen Detail, wie sie Bastlern eigen ist, werden die Vorzüge der letzten „Scanner-Generation“ erklärt. Im Gegensatz zu den älteren Modellen würden die neuen Geräte die Intimsphäre nicht verletzen, da sie keinen Blick auf die Körper der Gescannten bieten, sondern nur verdächtige Gegenstände abbilden, die am Körper getragen werden. So blieben z.B. die Geschlechtsteile unsichtbar, es sei denn, sie wären gepierct. Bundesforschungsministerin Annette Schawan sagte, sie sei „zuversichtlich, dass wir im Sommer Forschungsergebnisse für eine ganz neue Generation von Körperscannern vorstellen können“ - solchen, die „ethisch unbedenklich“ wären.

Noch bevor die Scanner zum Einsatz kommen, machen sie sich also schon bezahlt. Erstens kommt ihre Entwicklung der Forschung zugute, zweitens müssen in die Entwicklung Millionen investiert werden, ganz im Sinne des von der Regierung vor kurzem auf den Weg gebrachten „Kanjunkturbeschleunigungsgesetzes“.
Angesichts solcher Vorzüge für die Wissenschaft und die Ökonomie, kommt man sich schon ein wenig dumm vor, weitere Fragen zu stellen. Z.B. die: Könnte es sich bei den Körperscannern um eine Art High-Tech-Placebo handeln, dazu bestimmt, den Reisenden ein Gefühl der Sicherheit vorzugaukeln? Ist deren Einführung nicht nur der Auftakt zu einer weiteren Runde in dem Hase-und-Igel-Spiel, bei dem die eigentlich unterlegenen Terroristen den Terrorexperten immer um eine Nasenlänge voraus sind?

Jede neue Sicherheitsvorkehrung war die Reaktion auf einen vorausgegangenen Anschlag: das Ausziehen der Schuhe, das Verbot Flüssigkeiten, Nagelfeilen und Scheren im Handgepäck mitzuführen; und nun, nachdem ein Terrorist Sprengstoff in seiner Unterhose versteckt hatte, soll auch diese Sicherheitslücke gestopft werden. Bis der erste Terrorist auf die Idee kommt, eine Dynamitladung nicht am sondern im Körper zu deponieren, also dem Bereich, der von den „ethisch unbedenklichen“ Scannern nicht erfasst wird. Und dann wird das Boarden einer Maschine mit einer Magen-Darm-Spiegelung und/oder einer gynäkologischen Untersuchung kombiniert werden, was auch seine Vorteile für die Passagiere hätte, die sich vor einem Arztbesuch drücken. Mit der Bordkarte würde auch der medizinische Befund ausgedruckt werden. Tausende von Medizinern, die als Taxifahrer, Go-Go-Girls und Reiseleiter arbeiten, könnten in ihre Jobs zurückkehren.

Bliebe nur noch der „Schutz der Privatsphäre“. Aber auch das wäre kein Problem, denn in der Bundesrepublik Deutschland existiert sie nur noch in den Sonntagsreden der Datenschutzbeauftragten. Das Brief- und Telefongeheimnis ist praktisch aufgehoben, das Bankgeheimnis ebenso; demnächst sollen die Datensätze von 40 Millionen Bundesbürgern zentral in einer Datenbank namens „Elena“ gespeichert werden. Dazu gehören auch „sensitive Informationen“ wie Abmahnungen, Kündigungsgründe aus der Sicht der Arbeitgeber und die Beteiligung an Streiks. Der deutsche Bürger ist so transparent   wie eine Klarsichtfolie. Die Tage, da er vor dem Betreten eines Flugzeugs nur im Schritt abgetastet wurde, sind definitiv vorbei. Nur wenn er auf die Post geht, um einen Brief abzugeben, wird er noch aufgefordert, Abstand zu wahren: „Diskretion bitte!“

C: Weltwoche 7.1.2010

 

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