Sie haben das Recht zu schweigen. Henryk M. Broders Sparring-Arena

Henryk M. Broder

27.06.2010   16:40   +Feedback

Nachruf auf das Zentrum für Antisemitismusforschung

Wir wissen nicht, ob es das Berliner Zentrum für Antisemitismusforschung noch gibt oder ob es inzwischen dort entsorgt wurde, wo das Ministerium für gesamtdeutsche Beziehungen, die Akademie der Wissenschaften der DDR und das Aschinger ruhen: Im Abgrund der Geschichte. Der Augenschein spricht dafür, dass es das ZfA nicht mehr gibt. Vor kurzem ist in der WELT ein verquaster Nachruf auf das einst renommierte Institut erschienen, dessen Verfasserin - von Freundschaft, Herzweh und Mitleid getrieben - am Ende des Artikels nicht mehr wusste, womit sie ihn angefangen hatte.

Für die Annahme, dass das ZfA sich im Nichts aufgelöst hat, spricht auch, dass es in den letzten Wochen auf keinen antisemitischen Vorfall (Worms, Hannover), auf keine antisemitische Bosheit (Bad Boll, Duisburg) reagiert hat. Es ist, als würde es mitten im Sommer schneien und der Wetterdienst hätte sich abgemeldet. Das letzte, das man vom ZfA vernommen hat, war ein Auftritt seines Direktors in der “kulturzeit”, wo er vollmundig erklärte, Antizionismus wäre etwas ganz anderes als Antisemitismus, eine Ansicht, die auch der iranische Direktor des Zentrums für praktizierten Islamismus (ZfpI) vertritt.

Dabei stolpert man jeden Tag über Beweise des Gegenteils, zum Beispiel einen Bericht im “Schwäbischen Tagblatt” über eine Ausstellung in der Stiftskirche. Da heisst es u.a.:

=Die Ängste der Bürger Israels und ihr Leid in der Zeit des Holocaust leugne die Ausstellung nicht. „Nach 62 Jahren müssen wir aber auch dazu in der Lage sein, uns kritisch mit der Art und Weise der Staatsgründung Israels zu befassen.“ Den Vorwurf des Antisemitismus weist Rumpf in jeder Hinsicht zurück: Schon früh habe sie sich an Gedenkfeiern für die Opfer des Nationalsozialismus beteiligt und sich gegen den Neofaschismus engagiert.=

Früher haben die Antisemiten den Holocaust geleugnet bzw. die Zahl der ermordeten Juden in Zweifel gezogen. Drei Millionen wären nur halb so schlimm wie sechs Millionen gewesen. Heute dagegen beteiligen sie sich an Gedenkfeiern für die Opfer des Nationalsozialismus, “engagieren” sich gegen den Neofaschismus, was in der Regel bedeutet, dass sie “Wehret den Anfängen!” murmeln, während sie bei einer Karies-Untersuchung flachliegen, um in aller Unschuld in die Lage zu geraten, sich “kritisch mit der Art und Weise der Staatsgründung Israels zu befassen”. Was in der antisemitisch-antizionistischen Praxis darauf hinausläuft, Israel zu delegitimieren, nicht weil es seit 1967 die Westbank, Gaza und den Golan besetzt hält, sondern weil es 1948 gegründet wurde - zu Lasten der Palästinenser.

Bis jetzt ist weder in Tübingen noch einer anderen bedeutenden deutschen Metrople des Geistes irgendjemand auf die Idee gekommen, sich 62 Jahre nach der Teilung des indischen Kontinents kritisch mit der Art und Weise der Staatsgründung Pakistans zu befassen, obwohl die Welt diesen Staat so braucht wie ein Bio-Bauer eine Lieferung DDT. Man hat weder in Tübingen noch anderswo die “Nakba” der arabischen Juden thematisiert, von denen etwa 800.000 aus ihrer Heimat vertrieben und in Israel aufgenommen wurden, ohne dass eine spezielle UN-Agentur zu ihrer Betreuung eingerichtet werden musste.

Diese seltsame Asymmetrie der Wahrnehmung wäre ein schönes Thema für das ZfA, wäre es in seinen letzten Zügen nicht damit beschäftigt gewesen, strukturelle Parallelen zwischen dem Antisemitismus des 19. Jahrhunderts und der Islamophobie von heute zu suchen. Immerhin, bis zum 19. Jahrhundert ist es noch gekommen. Und wäre es nicht plötzlich verstummt, müssten wir jetzt nur 200 Jahre warten, bis sich das ZfA eine Meinung über den modernen Antisemitismus im 21. Jahrhundert am Beispiel der Tübinger Nakba-Ausstellung und ihrer Kuratorin gebildet hätte.

 

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