Sie haben das Recht zu schweigen. Henryk M. Broders Sparring-Arena

Henryk M. Broder

29.05.2010   19:53   +Feedback

Norman’s Beach Club in Gaza

Zwei Nachrichten aus den letzten Tagen, die auf den ersten Blick nichts miteinander zu tun haben:

- In Lahore/Pakistan haben “Extremisten” zwei Moscheen überfallen und dabei mindestens 70 Menschen getötet. Pakistan, das sollte man wissen, ist eine islamische Republik mit einer großen moslemischen Mehrheit, über 96%. Es ist weder von den Amerikanern besetzt, noch unterhält es diplomatische Beziehungen mit Israel. Dennoch wurden bei etwa 400 Anschlägen in den letzten drei Jahren über 3300 Menschen vom Leben zum Tode befördert. Die Täter waren Moslems, die Opfer auch. Deswegen hat es weder in der moslemischen noch in der zivilisierten Welt Demonstrationen gegen das Blutvergießen gegeben.

- Seit einer Woche ist eine “Solidaritätsflotte”, bestehend aus acht Schiffen mit etwa 800 “Friedensaktivisten” an Bord, unterwegs von Griechenland bzw. Zypern nach Gaza. Was wie eine humanitäre Aktion aussehen soll, ist ein von langer Hand geplanter Propaganda-Coup, für dessen Durchführung eine islamistische Organisation verantwortlich ist. Wer nur einmal versucht hat, ein Segelboot in Griechenland zu mieten, weiss, wie mühsam es sein muss, acht Schiffe zu chartern und auf den Weg zu bringen. Und billig ist es auch nicht.

Und nun bringen wir die erste und die zweite Frage auf den kleinsten gemeinsamen Nenner und fragen: Warum fahren die acht Schiffe nicht nach Lahore, um den Menschen zu helfen, die Opfer der Anschläge wurden? Auf jeden Toten kommen erfahrungsgemäß fünf bis zehn Verletzte.

Die Antwort scheint simpel. Lahore liegt nicht am Meer sondern tief im Landesinneren. Aber das kann nicht der Grund sein. Man könnte die Fracht im Hafen von Karatschi auf Lastwagen umladen und nach Lahore fahren. Entscheidend ist etwas anderes: Das von Armut, Hunger und Mangel an medizinischer Versorgung ausgepowerte Gaza bietet die idealen Bedingungen für einen Abenteuerurlaub.

Auf dem kurzen Weg dahin können sich die Teilnehmer der Friedensmission in masturbatorische Phantasien hineinsteigern (”...die Marine soll sich bereits intensiv auf unser Kommen vorbereiten, um uns den Zugang nach Gaza zu versperren, sie bereiten angeblich schon Einzelzellen in Ashdod für uns vor…”), wohl wissend, dass ihnen kein Haar gekrümmt wird.

Nach der Ankunft in Gaza werden sie nicht nur von einigen Funtionären der Hamas herzlich empfangen, sondern auch im besten Haus am Platz akkomodiert werden, im Roots Club, wo neue Maßstäbe für Gastlichkeit gesetzt werden. Das werden vor allem die beiden weiblichen MdBs der LINKEN zu schätzen wissen, die sich die sanitären Anlagen auf ihrem Schiff mit Dutzenden von Männern teilen mussten, die von ihren Müttern nicht zu Sitzpinklern erzogen wurden.

Beim Abendessen (“Food is our passion”) werden die Teilnehmer der Friedensmission über die katastrophale Versorgungslage in Gaza aufgeklärt werden. Mit etwas Glück und gutem Timing werden sie auch die Gelegenheit bekommen, einer Hinrichtung von Kollaborateuren beiwohnen zu können, ein Zeichen von Gastfreundschaft, das nur ganz besonderen Freunden gewährt wird. Allerdings: Der Völkerrechtler Norman Paech, der ebenfalls an der Reise teilnimmt und über die Higlights in einem online-Tagebuch berichtet, soll, ebenso wie sein Freund, der Schriftsteller und Menschenrechtler Henning Mankell, bereits gebeten haben, ihn von diesem Programmpunkt zu entbinden. Statt dessen möchten die beiden lieber ein Waisenheim besuchen, in dem Kinder leben, die ihre Eltern während des letzten Gaza-Krieges verloren haben.

So wird während der Reise jedem etwas geboten werden, auch der 85jährigen “Auschwitzüberlebenden” Hedy Epstein, die mit einem eigenen Leibarzt reist, der ihr leider nicht zur Verfügung stand, als die “Bürgerrechtlerin” seinerzeit an der Rampe von Birkenau entladen wurde. Laut Wikipedia freilich entkam sie mit einem Kindertransport nach England. Das war auch schrecklich, aber “Auschwitz” klingt einfach besser - wegen der historischen Parallele zum Ghetto von Gaza.

Wie die ganze Sache ausgeht, kann niemand voraussagen. Aber eines steht jetzt schon fest: Die nächste “Solidaritätsflotte” wird bald wieder in See stechen. Und das Ziel wird wieder Gaza sein, wo demnächst ein neues Luxus-Restaurant eröffnet wird: “Norman’s Beach Club”.

 

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