Sie haben das Recht zu schweigen. Henryk M. Broders Sparring-Arena

Henryk M. Broder

05.05.2010   13:54   +Feedback

Fiddeln und jiddeln am Stelenfeld

Vor fünf Jahren wurde das Denkmal für die ermordeten Juden Europas eröffnet, jetzt feiern die Initiatoren eine große Berliner Touristenattraktion - und sich selbst. Dabei lösen die Stelen bei Besuchern bloß eine Erschütterung aus, die an der nächsten Currywurstbude schon wieder verdaut ist.

Die Berliner Aktivistin Lea Rosh hat sich mit skurrilen Aktionen einen Namen gemacht. Einen Backenzahn, den sie auf dem Gelände des ehemaligen Konzentrationslagers Belzec in Polen gefunden hatte, nahm sie mit nach Berlin, bewahrte ihn 17 Jahre auf und kündigte anlässlich der Eröffnung des Holocaustmahnmals an, das Mitbringsel werde nun in einer Stele des Monuments seine letzte Ruhe finden.

Frau Rosh hatte es vermutlich gut gemeint und dabei übersehen, dass man entsprechend der Halacha, dem jüdischen Religionsgesetz, nicht mit Toten oder Totenteilen spielen darf. “Es ist streng verboten, beim Besuch unseres Geländes ‘Souvenirs’ mitzunehmen”, erklärte der Leiter der Gedenkstätte Belzec, Robert Kuwalek. Die stellvertretende Direktorin der KZ-Gedenkstätte Auschwitz, Krystyna Oleksy, sprach von einer Störung der Totenruhe. “Dass sie den Zahn aus Belzec einfach mitgenommen hat, ist nicht nur verboten - es ist eine Grausamkeit.”

Schließlich brachte Lea Rosh den Zahn persönlich nach Belzec zurück, um ihn dort “in aller Stille” zu begraben.

Einige Jahre zuvor, als das Mahnmal noch in der Planung war, warb sie mit einem Riesenposter in der Nähe des Brandenburger Tores für das Projekt - mit dem Satz “Den Holocaust hat es nie gegeben!”, der die Menschen erst irritieren, dann aufrütteln und schließlich zu Spenden animieren sollte. Wer eine zu diesem Zwecke eingerichtete 0190-Nummer anrief, bekam fünf Mark vom Konto abgebucht und konnte sich, wie bei einem Ablasshandel, dem Gefühl hingeben, seine Sünden abgegolten zu haben. Eva Menasse kritisierte damals in der “FAZ” die “autoritäre Pädagogik” und den “Gesinnungsterror” der Trommler, die den Holocaust zu einem “Spielball” der Werbung machten.

Auch diese “Provokation” musste unvollendet abgebrochen werden; zwar hatte sie “die Diskussion befördert”, wie es sich Klaus Wowereit gewünscht hatte, aber leider in die falsche Richtung. Viele Berliner fühlten sich ungebührlich auf den Arm genommen, nachdem sie darüber belehrt wurden, dass es keine Aktion von Holocaust-Leugnern, sondern ein verunglückter Spendenaufruf für das Mahnmal war.

Solchen Fehlleistungen zum Trotz wurde das Mahnmal gebaut und im Mai 2005 mit großem Pomp eröffnet. Seitdem hat es sich mehrfach amortisiert. Es steht länger an seinem Ort als der Holocaust gedauert hat; es wurde von mehr Menschen - etwa acht Millionen - besucht, als Juden im Holocaust umgekommen sind, und es hat seine Baukosten, etwa 25 Millionen Euro, mehr als eingespielt, obwohl der Eintritt frei ist. Das Mahnmal ist eine Berliner Touristenattraktion erster Güte. In unmittelbarer Nähe des Reichstages und des Brandenburger Tores gelegen, trägt es wesentlich zum Umsatz der gewerblichen Betriebe in der Umgebung bei.

“Mission accomplished”, könnte man sagen. Lea Rosh aber macht weiter. Hatte sie den Holocaust jahrelang erfolgreich privatisiert, so betreibt sie nun Erinnerungsarbeit in eigener Sache.

Am 5. Mai findet am Holocaustmahnmal eine Party statt, Anfang 17 Uhr, Ende offen. Zu der “Bürgerfeier” sind “alle Berliner und Berlinerinnen” eingeladen, um sich die “Zurufe” einiger “Impulsgeber” anzuhören, die an der “Denkmalsdebatte der letzten 20 Jahre” beteiligt waren, unter anderem Wolfgang Thierse, Eberhard Diepgen, Edzard Reuter. Dazu fiddelt und jiddelt eine Berliner Klezmer-Gruppe - was sonst?

In der Einladung zu der “Bürgerfeier” werden der “Mut”, die “Ausdauer” und der “Wille der Einzelnen” gewürdigt, “sich gegen Widerstände zusammenzuschließen und auch Gegenwind auszuhalten”. In diesem Kontext wird darauf hingewiesen, dass es Lea Rosh war, die vor 20 Jahren den “Förderkreis Denkmal für die ermordeten Juden Europas e.V.” gegründet hat. Kurzum: Lea Rosh würdigt die Verdienste von Lea Rosh - und feiert sich selbst.

Das allein wäre nur ein wenig anrüchig, etwa wie eine Modenschau auf einem Friedhof, wenn das “Denkmal für die ermordeten Juden Europas” mehr wäre als eine begehbare Installation, die in den Besuchern eine virtuelle Erschütterung auslöst, die sie an der nächsten Currywurstbude schon verdaut haben. Das Denkmal soll “an den millionenfachen Mord erinnern, die Ermordeten ehren und ihnen ihre Namen zurückgeben”. Auch das steht in der Einladung zu der Jubiläumsfete.

Nun wird in der Bundesrepublik allerorten an den Holocaust erinnert. Die Ermordeten werden geehrt, und was die “Rückgabe” der Namen angeht, so hört sich das an, als würde der Versuch der Wiederbelebung durch künstliche Beatmung unternommen werden. Das einzige wirkliche “Verdienst”, das man dem Denkmal zuschreiben kann, ist: Es zentralisiert das Gedenken und zieht einen tonnenschweren Schlussstrich unter die Erinnerung. Es dient der kollektiven Entlastung, nicht der individuellen Gewissensprüfung.

Denn es hat nichts, überhaupt nichts mit der Gegenwart der Bundesrepublik zu tun. Es stellt keine Verbindung zwischen dem Gestern und dem Morgen her, es zelebriert den Holocaust als ein einzigartiges Ereignis, ohne auch nur anzudeuten, dass sich das Ereignis wiederholen könnte - woanders und unter anderen Voraussetzungen.

Während die Ermordeten “geehrt” werden, machen deutsche Firmen weiter Geschäfte mit Iran, dessen Führer den Holocaust leugnet und Israel für ein “Krebsgeschwür” hält, das so schnell wie möglich aus der Region verschwinden sollte; lädt die Evangelische Akademie Bad Boll einen Hamas-Funktionär zu einer Tagung ein, vermutlich, um ihm die Gelegenheit zu geben, jene Paragrafen der Hamas-Charta zu erläutern, die von der Auslöschung des “zionistischen Gebildes” handeln; stellt ein Kölner Staatsanwalt ein Ermittlungsverfahren wegen Volksverhetzung gegen einen Rentner ein, der mit einer antisemitischen, den Judenbildern des “Stürmer” nachempfundenen Karikatur monatelang auf der Domplatte Passanten über die Situation im Nahen Osten aufklärte.

Es werde “nicht verkannt”, beschied der Staatsanwalt einem Kölner Bürger, der Anstoß genommen hatte, dass das Plakat “mit der Darstellung der “Verspeisung eines Kleinkindes”... schmerzliche Erinnerungen an die antijüdischen Ritualmordlegenden aus dem Mittelalter und an hetzerische Bilddarstellungen von Juden als Zerrbild eines “Untermenschen” aus der Zeit des Nationalsozialismus wachrufen kann”, aber es fehle ihm “anbestimmten anatomischen Stereotypen, die den Juden schlechthin charakterisieren sollen”, zum Beispiel der “Krummnase”.

Auf die Nase kommt es an. Ohne einen Riesenzinken im Gesicht ist eine ansonsten mit antisemitischen Topoi aufgeladene Karikatur also nicht wirklich antisemitisch.

Wahrscheinlich wäre auch der Kölner Staatsanwalt tief erschüttert, wenn er das Denkmal für die ermordeten Juden Europas besuchen würde. Wieder daheim in Kölle könnte er dann seinen Kollegen berichten, was er bei dem Besuch gelernt hat: Dass nur tote Juden eine geschützte Spezies sind.
http://www.spiegel.de/kultur/gesellschaft/0,1518,692904,00.html

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