Sie haben das Recht zu schweigen. Henryk M. Broders Sparring-Arena

Henryk M. Broder

29.04.2010   10:07   +Feedback

Bomben in der Lüneburger Heide

Nach zwei Weltkriegen im 20. Jahrhundert haben die Deutschen einige Millionen gute Gründe, Pazifisten zu sein. «Von deutschem Boden soll nie wieder ein Krieg ausgehen!» ist eine Losung, auf die sich 99,9 Prozent aller Deutschen debattenfrei verständigen könnten. Schwierig wird es erst, wenn der Pazifismus ein wirtschaftliches Opfer fordert. Fast zwanzig Jahre lang kämpften die Bürger von Wittstock, Rheinsberg und Neuruppin für die Schliessung des sogenannten Bombodroms, eines 12 000 Hektar grossen Geländes im Norden von Brandenburg, auf dem nach dem Abzug der Roten Armee die Bundeswehr den punktgenauen Abwurf von Bomben übte. Wer möchte schon in der Nähe eines Gebietes wohnen, auf dem täglich Luft-Boden-Geschosse einschlagen, die ihr Ziel auch mal verfehlen könnten?

Mitte April gab Verteidigungsminister zu Guttenberg bekannt, das Bombodrom werde geschlossen, der Standort aufgegeben. Die Bürgerinitiative Freie Heide, die Unternehmerinitiative Pro Heide, die Aktionsgemeinschaft Freier Himmel, die zuständigen Landräte, die über alle Parteigrenzen hinweg den gewaltfreien Widerstand angeführt hatten, waren begeistert – und von ihrem Erfolg auch ein wenig überrascht. Ein Jungwolf wurde auf dem Gelände gesichtet, und ein Seeadlerpaar hatte sich angesiedelt, um Nachwuchs zu erzeugen.

Dann aber wurde den Heide-Anliegern klar, dass sie jetzt zwar ruhiger schlafen, aber nicht unbedingt sorgenfreier leben würden. Der Bürgermeister von Wittstock gab bekannt, die Gemeinde müsse auf 1,5 Millionen Euro Steuereinnahmen jährlich verzichten; die Bundeswehr hatte nicht nur Zivilisten beschäftigt, sondern auch jedes Jahr Aufträge im Wert von 20 Millionen Euro an regionale Firmen vergeben. Mit der Schliessung des Bundeswehr-Standorts stellte sich die Frage nach wirtschaftlichen Alternativen im Öko-Bereich. Auch eine Anlage für regenerative Energiequellen braucht eine Weile, bis sie läuft und Einnahmen generiert. Am besten wäre es natürlich gewesen, wenn die Bundeswehr real abgezogen wäre, aber weiter für ihre virtuelle Präsenz gezahlt hätte.

Das Beispiel bestätigt die Richtigkeit einiger Sprichwörter, die den Heide-Anwohnern entfallen waren: «Jedes Ding hat zwei Seiten», «You cant have your cake and eat it» und «Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht nass».
Was für das ehemalige Bombodrom gilt, trifft auch für die Verteidigungspolitik im Allgemeinen zu. Es gibt viele gute und bedenkenswerte Argumente für den Abzug der Bundeswehr aus Afghanistan. Das beste Argument ist ein korrupter Präsident, der nicht in der Lage ist, die Sicherheit in seinem Lande zu garantieren, aber zugleich nicht mit Kritik am Verhalten der «Besatzer» spart, ohne deren Beistand er längst aus dem Amt geputscht worden wäre. «Macht doch euren Dreck alleine!», wäre eine angemessene Reaktion auf das anmassende und zugleich impotente Gebaren von Präsident Karzai und seiner Regierung.

Andererseits müsste jeder Deutsche, der den Abzug der Bundeswehr aus dem Hindukusch fordert, sich der Folgen bewusst sein. Afghanistan den Taliban zu überlassen, wäre nicht nur für die Afghanen eine Katastrophe, so wie ein Vulkanausbruch auf Island nicht nur den Himmel über Island verdunkelt hat. In Deutschland freilich herrscht die Meinung vor, dass Naturkatastrophen grenzüberschreitend sind, der Terrorismus dagegen an Grenzen haltmacht und Wohlverhalten honoriert. «Wenn wir denen nichts antun, tun sie auch uns nichts an», glauben viele Deutsche, die ansonsten davon überzeugt sind, dass ihre Häuschen in der Lüneburger Heide geflutet würden, wenn es Angela Merkel nicht gelingt, die globale Erwärmung zu stoppen. «Man kann mit Krieg Terrorismus nicht bekämpfen, man erzeugt nur neuen!», rief Gregor Gysi vor ein paar Tagen im Bundestag aus, ohne zu erklären, wie er dem Terrorismus den Garaus machen möchte. Mit Hilfe der Heilsarmee? Des Goethe-Instituts? Der Initiative «Brot für die Welt»?

Der Pazifismus, dem die Deutschen verfallen sind, richtet sich nicht gegen den Krieg an und für sich, er richtet sich gegen eine deutsche Beteiligung an militärischen Einsätzen. Es ist nicht die Liebe zum Frieden, die ihn antreibt, sondern nur der Wunsch, andere mögen sich die Hände schmutzig machen, damit wir mit einem blitzsauberen Zeigefinger auf sie zeigen können.
© Die Weltwoche

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