Sie haben das Recht zu schweigen. Henryk M. Broders Sparring-Arena

Henryk M. Broder

20.04.2010   23:07   +Feedback

Die Mode-Antifa

Wir leben in extrem friedlichen Zeiten. Nicht nur am Himmel geht es ruhig zu, auch am Boden haben die Engel das Regiment übernommen. An jeder zweiten Ecke fiddeln und jiddeln Klezmer-Kapellen, in Duisburg wird Israels Unabhängigkeitstag mit einem Straßenfest gefeiert, Max Brenner macht am Berliner Holocaust-Mahnmal ein neues Cafe auf. Und in der Jüdischen Gemeinde tritt der Vorstand zusammen, um zu beraten, worüber man sich denn noch aufregen könnte.
Wie wäre es mit einer Beschwerde bei der LH über das nicht-koschere Essen auf den Flügen nach Tel Aviv? Nicht skandalös genug, sagt die Vorsitzende. Gibts was Neues vom Bischof Mixa? Der hat doch fertig, sagt die Pressesprecherin, nicht mal seine Messdiener stehen noch hinter ihm. Da hat die Praktikantin eine Idee. Auf dem Bebelplatz soll demnächst die Berliner Fashion-Week stattfinden. Das ist es! ruft die Vorsitzende, greift zum Telefon und ruft BILD an. Am Tag danach kann man in der Berliner Ausgabe der BILD-Zeitung lesen:

=Der Platz der Bücherverbrennung - darf hier das Zelt der Modeschau “Fashion Week” stehen? Stöckelschuhe, Blitzlichter? Jetzt sagt auch die Jüdische Gemeinde Berlin: Nein!
Heute erinnert die Skulptur von Micha Ullman (70) an die Schandtat: leere Regale unter einer Scheibe im Boden. So ist der Bebelplatz>> weltberühmt geworden. Marktbuden, Eislaufbahnen sind hier endlich tabu. Aber die Fashion Week kehrt im Juli wieder - wenn der Senat nicht noch einen anderen Standort anbietet.
“Die Veranstaltung sollte umziehen”, sagt nun Lala Süsskind (63), Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde zu Berlin. Die Kirchen haben an die Fraktionen appelliert: “Der Respekt vor der Botschaft des Mahnmals gebietet einen jederzeit unverstellten Zugang bei freiem Umraum.”
CDU-Vizin Monika Grütters (48) schlägt vor: “Flughafen Tempelhof! Oder die Fläche neben dem Kanzleramt! Oder die Temporäre Kunsthalle! Oder wie wär’s mit dem Schloss Charlottenburg?”=

Warum nicht im Wohnzimmer von Frau Grütters? Oder im Garten von Frau Süsskind? Oder in der Sakristei von Kardinal Sterzinsky? Im Tempodrom? Im Tippi-Zelt am Kamnzleramt? Im Klärchens Ballhaus? Nur nicht am Bebel-Platz, wo die “unsichtbare Bibliothek” an die Bücherbrennung vom 10. Mai 1933 erinnert.
Eigentlich wäre eine Modenschau an einem Ort, den die Nazis kontaminiert haben, genau die richtige Reha-Maßnahme, um diesen Ort mit Leben zu füllen. Aber: Wenn man nichts mehr hat, worüber man sich aufregen kann, tuts auch eine Modenschau am falschen, d.h.: richtigen Ort.

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