Sie haben das Recht zu schweigen. Henryk M. Broders Sparring-Arena

Henryk M. Broder

15.04.2010   09:01   +Feedback

Eine bewegte Frau

Wer durch Tel Aviv spaziert, findet überall Zeugnisse deutscher Kultur und Geschichte: Hunderte von Häusern im Bauhausstil, Cafes mit Namen wie „Mersand“ und „Gottlieb“, Geschäfte, deren Besitzer Blaubart, Grünstein oder Segenreich heißen.

Ein ganz besonderes Monument deutscher Provenienz wurde vor einem Jahr in der Nachmani Straße eröffnet, das „Israel Office“, der Rosa-Luxemburg-Stiftung, die der Partei die LINKE (früher PDS, davor SED) „nahe steht“. Ebenso wie die Stiftungen von CDU, CSU, SPD, FDP und Grünen, die ebenfalls in Israel vertreten sind, pflegt die Rosa Luxemburg Stiftung Kontakte zu befreundeten Gruppen innerhalb des israelischen Parteienspektrums und fördert „Projekte“ im Bereich der „politischen Bildung“. Weniger vornehm ausgedrückt könnte man sagen: die RLS mischt in der israelischen Innenpolitik mit und versucht, diese in ihrem Sinn zu beeinflussen.

Das machen freilich auch die anderen politischen Stiftungen. Das Besondere an der Tel Aviver Filiale der Stiftung, die den Namen der ermordeten deutschen Kommunistin Rosa Luxemburg trägt, ist die Leiterin des „Israel Office“ in Tel Aviv: Frau Dr. Angelika Timm. Sie hat sich für ihren Job durch eine langjährige Tätigkeit qualifiziert, die man wahlweise als „antisemitisch“ oder „antizionistisch“, in jedem Fall aber als „anti-israelisch“ bezeichnen kann. Frau Timm war Dozentin an der Sektion Asienwissenschaften der Ost-Berliner Humboldt-Universität und vertrat dort das Fach „Israelwissenschaft“, das von der SED erfunden wurde, um antijüdische Ressentiments, die es in der DDR nicht geben durfte, als wissenschaftliche Disziplin verbrämt zu verbreiten. 

So konnte man z.B. in einem Buch, das Frau Timm zusammen mit ihrem Mann Klaus Timm 1988 veröffentlicht hatte, über den Ausbruch des 6-Tage-Krieges am 5. Juni 1967 lesen: „Dieses Datum hatte das israelische Kriegskabinett, wenige Tage zuvor vom Parlament als ‚Regierung der nationalen Einheit’ berufen, zum ‚Tag X’, zum ersten Tag des Dritten Nahostkrieges, ausersehen.“

Frau und Herr Timm verloren kein Wort über die Vorgeschichte des Krieges, über den von Ägypten durchgesetzten Abzug der UN-Truppen aus dem Sinai, über die Sperrung des Roten Meeres für israelische Schiffe, über das Versprechen Nassers, die Israelis ins Meer zu treiben. Und statt zu sagen, das „Kriegskabinett“ habe den 5. Juni als Tag X „bestimmt“ oder „festgelegt“, griffen Timm & Timm zu einem Zeitwort, das die antisemitische Botschaft auf eine subtile Art transportierte: „ausersehen“.

Der israelische „Aggressions- und Eroberungskrieg“, so Timm & Timm, habe u.a. zum Ziel gehabt, „die erdölreiche Nahostregion mit dem Suezkanal wieder fest in imperialistischen Griff zu bekommen… und die Hegemonie Israels über den Nahen Osten langfristig abzusichern“; den „bourgeois-zionistischen Kräften in Israel und ihren internationalen Verbündeten“, im Klartext: dem Weltjudentum, müsse „die Möglichkeit genommen“ werden, sich durchzusetzen.

Das war, wie gesagt, 1988, als das Ende der DDR noch nicht absehbar war. Unmittelbar nach der Wende im Herbst 1989 änderte auch Angelika Timm ihren Kurs - wie ein Kapitän, der das Ruder seines Schiffes im letzten Moment, bevor es eine Stromschnelle erreicht, herumreißt. Sie gehörte zu den Initiatoren der „Gesellschaft DDR-Israel für Verständigung und Zusammenarbeit“ und hielt bei der Gründungsversammlung ein Referat, in dem sie über das „das einseitige Israel-Bild“ klagte, „das jahrzehntelang über die DDR-Medien vermittelt wurde“ – als habe sie nicht selber maßgeblich zu diesem Bild beigetragen.

Da Frau Dr. Timm nichts anderes als „Israelwissenschaft“ gelernt hatte, setzte sie ihre Laufbahn mit umgekehrtem Vorzeichen fort. Sie veröffentliche themenbezogene Beiträge in der „Allgemeinen Jüdischen Wochenzeitung“ und in der Beilage der halbamtlichen Wochenzeitung „Das Parlament“, sie bewarb sich um und bekam ein zweijähriges Stipendium der Deutschen Forschungsgemeinschaft für eine Arbeit über die Haltung der DDR zur Shoah, zum Zionismus und zum Staat Israel.

1989, als die sieche Führung der DDR plötzlich ihr Herz für Israel entdeckte, soll Frau Dr. Timm den Wunsch gehabt haben, die erste Botschafterin der DDR im Judenstaat zu werden. Zwanzig Jahre später hat sie es geschafft, als Leiterin der Rosa-Luxemburg-Stiftung.

Eine bewegte Frau und eine akademische Opportunistin, die in jedem System einen Platz an der Sonne findet.

© Weltwoche

Permanenter Link

Achgut  Wissen  

Die Achse des Guten