Sie haben das Recht zu schweigen. Henryk M. Broders Sparring-Arena

Henryk M. Broder

18.03.2010   15:43   +Feedback

Pax Christi

Ein Freund, den ich schätze, weil er nicht nur ein bekennender sondern vor allem praktizierender Christ ist, schreibt mir auf die Frage, warum die Reaktionen des Vatikans auf die Ermordung einiger hundert Chrtisten so “moderat” formuliert wurden, folgendes:

“Grundsätzlich ist es doch so: Du hast eine große Familie, so 100 Leute. Die leben im Feindesland. Die Feinde bringen schon mal so 30 um. Die 70 sind aber noch da, wollen auch eigentlich bleiben, leben aber unter einem Damoklesschwert. Was tun? Da würdest Du natürlich Deine Pressefreiheit voll ausnutzen und ein scharfes Stück gegen die Feinde schreiben. Denn moderat, das geht bei Modest ja nun auf gar keinen Fall. Hauptsache, das Prinzip stimmt. So vielleicht? Ich dachte jüdisch sein heißt überleben lernen ...”

Es wäre wirklich das erste Mal in der Geschichte der Kirche, dass sie sich ein Beispiel an den Juden nimmt. Ein globales Unternehmen mit über einer Milliarde Angehörigen, Beschäftigten und Statisten tut so, als wäre es eine Ich-AG oder bestenfalls ein Familienunternehmen, das es sich mit den Nachbarn nicht verderben will.

So wie die Juden, die sich tatsächlich lange geduckt und Schläge hingenommen haben, aus Angst die Schläger könnten böse werden. Die Juden (von Abi, Hajo, Evelyn, Iris, Hedy e.a. abgesehen) wissen inzwischen, dass Wohlverhalten keine Überlebensgarantie ist, im Gegenteil, dass es Aggressionen provoziert. Nur die katholische Kirche hat es noch nicht begriffen. Bzw. begriffen hat sie es schon, nur ist die dermaßen damit beschäftigt, Empfängnisverhütung zu verhindern, den Zölibat zu verteidigen und Pädophile von einem Ort zum anderen zu versetzen, dass sie gar nicht dazu kommt, sich um Wichtigeres zu kümmern.

Wo aber liegt die Schmerzgrenze, die überschritten werden muss, bevor die Kirche aufschreit? Wenn von 100 Familienangehörigen nicht 30 sondern 70 umgebracht werden? Oder alle? Käme dann ein scharfer Protest aus dem Vatikan? Oder nur irgendeine laue Aufforderung, für das Seelenheil der Opfer und Täter zu beten?

Jüdisch sein, lieber Freund, heisst nicht nur überleben lernen. Es heisst vor allem: darauf achten, dass man nicht in die Situation kommt, ums Überleben kämpfen zu müssen, es gar nicht so weit kommen zu lassen. Denn dann ist es meist zu spät. Wir haben es gelernt, Ihr werdet es auch noch lernen. Je eher, umso besser. Für Euch und den lieben Gott.

Permanenter Link

Achgut  Bunte Welt  

Die Achse des Guten