Sie haben das Recht zu schweigen. Henryk M. Broders Sparring-Arena

Henryk M. Broder

06.10.2010   23:58   +Feedback

Aus vollem Herzen

Die Schönheit liegt bekanntlich im Auge des Betrachters. Die Kraft der Überzeugung auch. Schickt man fünf Besucher in denselben Film, werden sie fünf verschiedene Filme sehen. So war es auch mit der Rede des Bundespräsidenten zum “Tag der deutschen Einheit”, die “mit Spannung erwartet” wurde. Darüber waren sich fast alle einig, davon abgesehen hatte jeder Mann und jede Frau eine andere Rede gehört. “Wulff: Deutschland lebt von seiner Vielfalt”, titelte die FAZ; die WELT stellte ihrem Bericht ebenfalls einen Wulff-Satz voran: “Wer unser Land verachtet, muss mit Gegenwehr rechnen”, BILD und SZ hatten beide dasselbe Zitat-Los aus der Wulff-Trommel gezogen: “Der Islam gehört zu Deutschland”. Eine der wenigen Ausnahmen war die Augsburger Allgemeine, die sich selber etwas einfallen liess: “Wulff wirbt für Integration und Toleranz”. Das war zwar etwas kreativer als die anderen, aber man merkte es der Überschrift dennoch an, wie mühsam die Suche nach einem Stück Fleisch in der Vegie-Suppe gewesen sein muss.

Wulffs Rede war, schrieb Thomas Schmid in einem Kommentar in der WELT, “platt und geistig bescheiden”, der Bundespräsident tat “fast allen wohl und niemand weh”. Und das war noch ein Kompliment. Tatsächlich war Wulffs Rede eine Konzession an den Zeitgeist: belanglos, harmlos und von dem Wunsch getrieben, nirgendwo anzuecken.

Wulff ist ein sympathischer Mann, man möchte ihn gerne zum Nachbarn haben. Er war als Ministerpräsident von Niedersachsen zu Recht beliebt, ein Landesvater, der das Biedere und Bodenständige seiner Heimat repräsentierte. Seine Wahl zum Bundespräsidenten freilich bewies wieder einmal, dass es nicht unbedingt eine gute Idee sein muss, einen verlässlichen Binnenschiffer zum Kapitän eines Ozeandampfers zu befördern. Oder einen Disco-Manager mit der Leitung des Opernballs zu betrauen.

Beispiel gefällig? “Wenn mir deutsche Musliminnen und Muslime schreiben: ‘Sie sind unser Präsident’, dann antworte ich aus vollem Herzen: ‘Ja, natürlich bin ich Ihr Präsident!’”

Ja, was soll er denn sonst antworten? “Nehmen Sie mich bitte mit, wenn Sie das nächste Mal zur Pilgerfahrt aufbrechen, ich würde gerne einen Mokka in Mekka trinken.” Allein der Gebrauch der Gender-Formel “Musliminnen und Muslime” zeigt, dass Wulff “aus vollem Herzen” am Tropf der politischen Korrektheit hängt. Es ist vermutlich das Letzte, was “deutsche Musliminnen und Muslime” von ihm erwarten, aber das ist er seinem Amt und dem deutschen Feuilleton schuldig. Meint er jedenfalls.

“Das Christentum gehört zweifelsfrei zu Deutschland. Das Judentum gehört zweifelsfrei zu Deutschland. Das ist unsere christlich-jüdische Geschichte. Aber der Islam gehört inzwischen auch zu Deutschland.” Auch das musste mal in aller Klarheit gesagt werden. Wir sitzen alle in einem Boot. Dabei gehört “der Islam” spätestens seit dem Tag zu Deutschland, an dem der Mufti von Jerusalem mit dem “Führer” 1941 in Berlin zusammentraf, um ihm seine Hilfe bei der Endlösung der Judenfrage anzubieten. Nun gehört es inzwischen zum guten Ton in Deutschland, Christen, Juden und Moslems in einem Atemzug zu nennen und dabei zu vergessen, dass es auch andere Glaubensbekenntnisse gibt - von den “Ungläubigen” nicht zu reden, die inzwischen ein Drittel der Bevölkerung ausmachen. Dennoch gilt es als unfein, vom “Islam” zu reden, denn, wie uns nach jedem Anschlag und jedem Ehrenmord versichert wird, “den” Islam gebe es nicht, es gibt viele Islams, die man nicht in einen Topf werfen darf. Den “sanften” indonesischen, den “radikalen” der Taliban und natürlich den “Euro-Islam”, der den “Euro-Kommunismus” als Fiktion ersetzt hat.

Man muss Wulff zugute halten, dass er offenbar nicht merkt, auf was für dünnem Eis er seine Figuren dreht. Eine davon ist “unsere christlich-jüdische Geschichte”, wie der politisch korrekte Euphemismus für die Abendland-WG lautet. Wenn es aber so etwas wie eine “christlich-jüdische Geschichte” überhaupt gegeben hat, dann bestand die, von kurzen Unterbrechungen abgesehen, aus der Verfolgung der einen Gottesanbeter durch die anderen.

Wulff hat es sicher gut gemeint und sein Bestes gegeben. Aber das war eben nicht gut genug. Es gibt nur eines, das man zu seiner Entlastung annehmen muss: Die Redenschreiber im Bundespräsidialamt denken so wie ihr Chef.

© Die Weltwoche 40/10

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