Sie haben das Recht zu schweigen. Henryk M. Broders Sparring-Arena

Henryk M. Broder

19.09.2010   10:41   +Feedback

Der sprachlose Schwätzer

Daniel Cohn-Bendit hat SPIEGEL ONLINE ein Interview gegeben, in dem er u.a. sagt: “Wie soll eine breit angelegte rationale Debatte funktionieren, wenn Überschriften heißen: Jeder Zehnte will sich nicht integrieren. Neun von zehn Migranten wollen sich integrieren, sollte es heißen. Und dann kommen die Leute, schnappen irgendetwas von Sarrazin auf und sagen: Man wird doch wohl noch mal die Wahrheit sagen dürfen.”

Was DCB von anderen Politikern unterscheidet: Er ist intelligent, witzig und schlagfertig. Was er mit anderen Politikern gemein hat: Das, was er von sich gibt, ist garantiert substanzfrei, eine Mogelpackung ohne Inhalt.

Helmut Karasek hat mal über Hemut Kohl geschrieben, er wäre “ein sprachloser Schwätzer”. Das ist auch DCB, weit mehr als der Mann aus Oggersheim. Das Interview auf SPON macht klar, wie sich DCB eine “rationale Debatte” und fairen Journalismus vorstellt. Das Positive soll in den Vordergrund gerückt werden. Die Idee ist nicht ganz neu, so wurde auch in der SU, in der DDR und in anderen Filialen des real existierenden Sozialismus berichtet. Fiel mal die Ernte besonders schlecht aus, schrieb das ND, es hätten sich noch nie so viele Freiwillige zum Ernteeinsatz gemeldet wie im laufenden Jahr. Im Westen wurde für solche Situationen das Wort “suboptimal” erfunden.

Dennoch sollte der Vorschlag von DCB nicht vom Tisch gewischt werden, er hat, wie man heute sagt, “Potential”. Sollte demnächst, Gott behüte, eine LH-Maschine irgendwo auf dem Rücken mit dem Fahrwerk nach oben landen, könnte die dazugehörige Schlagzeile lauten: “99,9% aller Landungen erfolgreich”. Beim nächsten Ärztetag zum Thema Krebsvorsorge werden sich die Mediziner über ihre nicht krebskranken Patienten unterhalten, denn die sind ja eindeutig in der Mehrheit. Die alljährliche Unfallstatistik des ADAC könnte mit den Worten eingeleitet werden: “Über 98% aller Autofahrer in keinen Unfall verwickelt!” Die Berichterstattung, wie sie DCB vorschwebt, gibt es bereits. Wird im Lotto der Jackpot geknackt, dreht sich alles um die Gewinner, die 99,999999 Verlierer bleiben unerwähnt.

Und sollte sich DCB irgendwann aus der Politik zurückziehen, was erst der Fall sein wird, wenn das letzte Atomkraftwerk abgeschaltet wurde und der letzte Eisbär eine sichere Heimstatt in der Karibik gefunden hat, wird die taz das Ereignis mit dem Satz bekanntgeben: “DCB macht mal Ferien”.

Permanenter Link

Achgut  Inland  

Die Achse des Guten