Es macht immer wieder Spass, kluge, gebildete und gut erzogene Menschen mit beiden Armen im Mustopf ihrer Emotionen zu erwischen. Neulich saß ich in einer kleinen gemütlichen Runde. Es ging, natürlich, um Sarrazin. Mir gegenüber saß der stellvertretende Chefredakteur der ZEIT, ein waschechter Liberaler. Er regte sich furchtbar darüber auf, dass Sarrazin von einem jüdischen Gen gesprochen hatte. Das wäre unmöglich, unsäglich und total unwissenschaftlich. Und dann sagte der stellvertretende Chefredakteur der ZEIT den Satz: “Das Land wehrt sich dagegen, vergiftet zu werden.” Wäre Fassbinder bei der Diskussion dabei gewesen, hätte er gesagt: “So denkt es in ihm.” Das wäre natürlich ungerecht gewesen, denn es war keine gedankliche sondern eine vegetative Reaktion, aus dem Bauch heraus. “Deutschland wehre dich, glaub nicht den Sarrazins!” Mein Eindruck war eher, das Land würde sich dagegen wehren, belogen und betrogen zu werden, aber ich lese auch nicht die ZEIT, deren stellvertretender Chefredakteur, stellvertretend für das Land, sich dagegen wehrt, vergiftet zu werden.
Etwa eine Viertelstunde später zog der stellvertretender Chefredakteur der ZEIT eine Parallele zum Fall Sarrazin - den Fall Möllemann. Der habe auch nur gemeint: Man wird ja noch mal sagen dürfen… Und da wurde mir klar. Es war zu spät. Das Gift hatte schon seine Wirkung getan.