Sie haben das Recht zu schweigen. Henryk M. Broders Sparring-Arena

Henryk M. Broder

18.08.2010   20:28   +Feedback

Schnellmerker ohne Grenzen

Am 12. August verbreitete der evangelische pressedienst (epd) ein Interview mit dem Vorsitzenden der deutschen Sektion der “Ärzte ohne Grenzen”, Tankred Stöbe. Darin sagte der Arzt u.a., es sei selbstverständlich, dass seine Kolleginnen dort Kopftücher trügen, um auch von der Bevölkerung akzeptiert zu werden, Frauen im Katastrophengebiet würden auch nur von Ärztinnen oder Krankenschwestern behandelt, nicht von männlichen Medizinern, der Respekt vor der Kultur gehe soweit, dass Frauen nicht behandelt würden, wenn der Ehemann das ablehne.
So weit, so gut. Man nennt so was “kultursensible Pflege”. Der epd-Bericht wurde zitiert und kommentiert. Und dann dauerte es nur sechs Tage, bis die Pressestelle der Ärzte ohne Grenzen eine korrigierte Fassung der Geschichte verbreitete, in der Tankred Stöbe sich nicht ganz so klar artikuliert. Hier die verschlimmbesserte Version vom 18.8.:

- Ausgesendete Korrektur zur epd-Meldung vom 12.08.2010 -

«Ärzte ohne Grenzen»: Weltanschauliche Neutralität hohes Gut in Pakistan -
(epd-Gespräch)

Berlin (epd). In den Überschwemmungsgebieten im islamischen Pakistan
müssen westliche Hilfswerke nach Angaben von «Ärzte ohne Grenzen» die
kulturellen und religiösen Traditionen respektieren. Es sei
selbstverständlich, dass seine Kolleginnen dort Kopftücher trügen, um
auch von der Bevölkerung akzeptiert zu werden, sagte Tankred Stöbe
(41), Präsident des deutschen Zweigs der Nothilfe-Organisation, in
einem epd-Gespräch am 12.08.2010, kurz bevor er nach Pakistan flog.

In unterschiedlichsten Kontexten komme die Organisation hin und wieder in Situationen, in denen Ihnen durch Angehörige nicht erlaubt wird, Patienten zur Untersuchung direkt anzufassen oder Frauen durch Männer behandeln zu lassen. In solchen extremen Fällen verhandelt Ärzte ohne Grenzen mit Familie und lokalen Autoritäten und versucht so sicherzustellen, dass der Patient oder die Patientin so gut wie möglich medizinisch versorgt wird. Das stellt sicher, dass diese Patienten nicht die Behandlung abbrechen oder zukünftig aus mangelndem Vertrauen keine medizinische Hilfe mehr suchen, weil ihre Vorstellungen einfach ignoriert werden. Dies würde schlimmstenfalls bedeuten, dass sie medizinisch gar nicht mehr versorgt würden. Die Priorität von Ärzte ohne Grenzen ist medizinische Nothilfe, dazu zählt auch, den Patienten den Zugang zu medizinischer Versorgung zu ermöglichen.

Inzwischen hat Ärzte ohne Grenzen in Pakistan mit 1300 Mitarbeitern mehr als 10.000 Patienten mit Verletzungen, Haut- und Durchfallerkrankungen versorgt. Ein Cholera-Ausbruch bleibt weiterhin eine große Gefahr. Täglich stellt die Organisation 300.000 Liter sauberes Trinkwasser bereit. Mobile Teams haben bis heute bereits Plastikplanen, Decken und Seife an mehr als 50.000 Menschen verteilt und versorgen täglich mehr Familien.

   Stöbe zufolge muss «Ärzte ohne Grenzen» in einem politisch
unruhigen Land wie Pakistan seine weltanschauliche Neutralität ganz
besonders betonen. «Wir sprechen mit allen Konfliktparteien», sagte
der Pakistan-Kenner, der bereits im vergangenen Jahr im jetzt
überfluteten Swat-Tal war, wo zwei Millionen Menschen vor
Militäraktionen geflohen waren. Trotzdem drohten humanitären Helfern
Anschläge, Entführungen, Erpressungen und Tötungen. «Die Gefahr ist
unsichtbar», sagte Stöbe.

   In den überfluteten Gebieten in Pakistan zeichnet sich nach seinen
Worten noch längst keine Entspannung ab. «Wir erleben oft, dass die
medizinische Not nach dem Abfließen des Wassers noch wächst, weil
Krankheiten wie Durchfall und Cholera auftreten», sagte Stöbe.

   Die Not sei riesig. «Die Menschen haben nicht nur überflutete
Keller, sie haben all ihr Hab und Gut verloren, sie haben ihre
Angehörigen verloren.» Es sei sehr schwer, Zelte und andere
Hilfsgüter an die richtigen Orte zu bringen. «Ganze Dörfer sind
verschwunden.» Aber sehr beeindruckend sei auch die große
Hilfsbereitschaft, so dass viele Obdachlose bei Verwandten, Bekannten
und Freunden unterkämen.

   Nach Angaben der Vereinten Nationen sind 14 Millionen Menschen von
den Überschwemmungen betroffen. Sechs Millionen Menschen brauchen
dringend Lebensmittel und sauberes Trinkwasser. Bisher wurden 1.600
Tote registriert.

 

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