Sie haben das Recht zu schweigen. Henryk M. Broders Sparring-Arena

Henryk M. Broder

23.07.2010   06:34   +Feedback

Bunte Republik Deutschland

Es ist schwer was los in der Bunten Republik Deutschland. Ende Mai hat Roland Koch seinen Rückzug aus allen politischen Ämtern angekündigt. Zum 31. August will er als Ministerpräsident von Hessen zurücktreten. Jürgen Rüttgers, der Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen wurde abgewählt. Christian Wulff wechselte aus der Staatskanzlei von Niedersachsen in das Palais des Bundespräsi-denten in Berlin, einerseits wurde er befördert, andererseits aber auch entmachtet. Und letzten Sonntag ist Ole von Beust als Erster Bürgermeister der Freien und Hansestadt Hamburg zurückgetreten, kurz bevor das Ergebnis eines Volksentscheids bekannt wurde, mit dem die Hamburger eine von der schwarz-grünen Regierung der Stadt betriebene Schulreform mit großer Mehrheit eine Absage erteilten.

Die biblische Erkenntnis „Alles hat seine Zeit“, so Beus, gelte auch für Politiker, „selbstverständlich auch für mich“.

Die Erklärung, die der Generalsekretär der CDU, Hermann Gröhe, daraufhin abgab, klang wie ein Nachruf: „Ole von Beust hat für seine Heimatstadt und die CDU herausragende Arbeit geleistet: Ihm ist es zu verdanken, dass die CDU nach mehr als vier Jahrzehnten in der Opposition zur bestimmenden politischen Kraft in Hamburg geworden ist. Mit großer Kompetenz und hanseatischer Bescheidenheit hat Ole von Beust in den zurückliegenden neun Jahren seine Heimatstadt äußerst erfolgreich geführt. Auch in der Bundespolitik hat er immer wieder wertvolle Akzente gesetzt.“ Man hoffe, er werde sich „auch künftig engagiert in unsere Partei“ einbringen. Und: „Für seine persönliche und berufliche Zukunft gelten ihm unsere besten Wünsche.“ Mit solchen Worten werden normalerweise Abteilungs-leiter in der Vorruhestand geschickt.

Nun kann man die Bundesrepublik in der Tat mit einer großen Firma vergleichen, in der die Spitzenpositionen von Zeit zu Zeit neu besetzt werden, in der Regel durch Rotation, seltener durch eine Berufung von draußen. So bleibt das Personal weitgehend unter sich und das Publikum merkt nicht, wie dünn die Personaldecke ist. Nur wenn Angela Merkel Minister in ihr Kabinett beruft, die schon unter Helmut Kohl durch Inkompetenz aufgefallen waren, wird die Not zum Drama.

Man kann die Situation in einem Satz zusammenfassen: Die Bundesrepublik ist unregierbar. Hätte das Land keine Regierung sondern nur einen geschäftsführenden Vorstand, wie bei einem insolventen Unternehmen, würde es niemand auffallen, denn alles würde so laufen, wie es derzeit läuft: Von einer Krise zur nächsten.

Das wiederum hat vor allem zwei Gründe: Der eine ist die föderale Struktur der Bundesrepublik. Das Land hat 16 Ministerpräsidenten, 16 Regierungen und 16 Parlamente, die alle ein Eigenleben führen. Dazu kommen Landesbanken, Landesämter für Verfassungsschutz, Landesrundfunkanstalten und alle möglichen „nachgeordneten“ Behörden, von denen niemand weiß, wozu sie da sind, wie z.B. der „Patientenbeauftragte“ beim Bundesminister für Gesundheit. Nur wenn in den Schnellzügen der Deutschen Bahn die Klimaanlagen ausfallen, dann ist niemand verantwortlich, weder die Bahn, noch der Verkehrsminister, noch das Bundesamt für den Güterverkehr oder das Eisenbahn-Bundesamt oder die Bundesanstalt für Materialprüfung.

Alle paar Jahr wird der Versuch unternommen, das föderale Chaos neu zu ordnen. Es wird eine Kommission eingesetzt, die Vorschläge erarbeiten soll. Zum Beispiel, das Saarland und Rheinland-Pfalz zu einem Land zusammen zu legen. Aber solchen Ideen stehen die „gewachsenen Strukturen“ entgegen, also bleibt alles wie es ist, bis eine neue Kommission eingesetzt wird, die dann den Vorschlag macht, Berlin und Brandenburg zu vereinigen.

Der zweite Grund ist: Der Wille zur Ohnmacht. Die Politiker wollen nicht regieren, sie wollen „Zeichen setzen“, „Denkanstöße vermitteln“ und vor allem: „Brücken bauen“. Das hat auch Christian Wulff erklärt, kaum dass er zum Bundespräsidenten gewählt wurde, als habe die Bundesrepublik gerade einen Bürgerkrieg hinter sich. Von ihm stammt auch das Wort von der „Bunten Republik Deutschland“, die er befördern wolle.

So betrachtet, könnte auch die Firma Faber-Castell das Managment der Bundesrepublik übernehmen. Sie stellt Farbstifte her, die man hervorragend zum Zeichensetzen und Brückenmalen benutzen kann.

© Weltwoche, 22.7.10

 

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