Sie haben das Recht zu schweigen. Henryk M. Broders Sparring-Arena

Henryk M. Broder

21.07.2010   12:41   +Feedback

Nicht ohne meinen Koffer!

Immer wenn ich an einem Gepäckband stehe, fällt mir zweierlei auf. Erstens: Wer seinen Koffer, seine Tasche oder seinen Pappkarton gesichtet hat, stürzt sich auf das Objekt, als müsste er/sie befürchten, dass es auf Nimmerwiedersehen verschwindet, wenn es an ihm/ihr vorbeigerollt ist. Leute, die es zehn und mehr Stunden auf ihren Sitzen ausgehalten haben, drehen am Gepäckband vollkommen durch, schlagen und treten um sich, um im letzten Moment den Griff des Gepäckstückes zu erwischen, statt zwei Minuten abzuwarten, bis es wieder die Runde gemacht hat.

Die Gefahr, dass ein anderer Passagier es sich aneignen könnte, ist minimal, denn erstaunlicherweise, das ist die zweite Beobachtung, will jede(r) das Stück einsammeln, dass er/sie aufgegeben hat. Statt sich eines auszusuchen, das besser aussieht, einen Rimowa-Samba oder eine Speedy Voyage 45 von Louis Vuitton. Das scheint der kleinste gemeinsame Nenner der menschlichen Natur zu sein: Mögen andere Koffer schöner, besser, teurer sein, Ich will meinen Koffer haben! Den oder keinen!

Das gleiche irrationale Verhalten ist auch zu beobachten, wenn Eltern ihre Kinder vom Kindergarten abholen: Sie stehen nervös vor dem Tor, treten von einem Bein auf das andere, als käme gleich die Vorhut der Tour de France vorbei, um schliesslich ihr Kind in die Arme zu schliessen, das sie vor vier oder fünf Stunden abgegeben haben. Dabei gibt es genug Kinder zur Auswahl, und viele sind anmutiger und schöner als das eigene. So sind die Menschen. Erstaunlich dabei ist nur, dass sie auf Reisen ihre Kinder nicht in Koffer packen, um sicher zu gehen, dass weder das eine noch das andere unterwegs verloren geht.

Siehe auch: Na bitte, geht doch!
http://www.20min.ch/news/basel/story/24991738

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