Sie haben das Recht zu schweigen. Henryk M. Broders Sparring-Arena

Henryk M. Broder

07.07.2010   10:54   +Feedback

Die Ghetto-Blaster

Letzte Woche besuchte ich Norman Paech in Hamburg (der übrigens ein angenehmer und höflicher Gesprächspartner ist), um ihn zu interviewen. Diese Woche hatte ich eine Diskussion in der Berliner Botschaft von Schleswig-Holstein mit meinem Kollegen Erich Follath (für den das gleiche gilt) über unser Streit-Buch “Gebt den Juden Schleswig-Holstein!” Bei beiden Begegnungen (die entspannt verliefen und friedlich endeten) ging es u.a. um die Vergleiche zwischen Gaza und dem Ghetto von Warschau. Davon habe er noch nie etwas gehört, behauptete Paech. So was gebe es nicht, sagte Follath, auf so eine irre Idee könne kein Mensch kommen.

Nun, da müssen beide Herren konsequent weggehört und weggesehen haben, denn der Vergleich macht seit Jahren die Runde. Wer ihn in die Debatte eingeführt hat, ist schwer zu sagen. Nun aber ist er da, und es gehört ein starker Wille dazu, ihn nicht wahrzunehmen. Hier ein paar Beispiele:

Der Bischof:
Und dann kommt ein Bischof Gregor Maria Hanke daher und sagt: „Morgens in Yad Vashem die Fotos vom unmenschlichen Warschauer Ghetto, abends fahren wir ins Ghetto in Ramallah. Da geht einem der Deckel hoch.“ Und damit sein Kollege in Christo nicht missverstanden wird, setzt Bischof Walter Mixa nach: Die „ghettoartige Situation“ in den besetzen Gebieten sei „fast schon Rassismus“.  http://www.welt.de/politik/article750858/Wenn_es_aus_deutschen_Bischoefen_spricht.html

Die Tochter:
Ich bedauere es nur sehr, dass die, wie Sie schon vorher anmoderiert haben, dass die Bischöfe beziehungsweise Kardinal Lehmann schon wieder diese Äußerungen, diese sehr moderaten Äußerungen zum Teil zurückgenommen haben oder sich entschuldigt haben.” - DLF: “Moderat, finden Sie den Vergleich mit dem Warschauer Ghetto moderat?” - Hecht-Galinski: “Ich kann diese Vergleiche so nicht nachvollziehen, weil, wenn man morgens in Jad Vaschem war, diese Ausrottung des europäischen Judentums gesehen hat, die leider nicht mehr rückgängig zu machen ist, und dann in die besetzten Gebiete fährt, dieses Elend sieht, diese Mauer, die sich durch palästinensische Gebiete zieht, diese unrechtmäßige Besatzung, dann muss man von einem Riesenghetto beziehungsweise Riesenfreiluftgefängnis sprechen, das die israelische Regierung in den besetzten Gebieten einrichtet.”  http://www.dradio.de/dlf/sendungen/interview_dlf/602717/

Der UN-Reporteur:
Der Uno-Sonderberichterstatter in den Palästinensergebieten, Richard Falk, sieht Hinweise auf Kriegsverbrechen Israels während der Militäroffensive im Gazastreifen. [...] Die Beweise von Menschenrechtverletzungen seien so erdrückend, dass eine unabhängige internationale Untersuchung angezeigt sei, forderte Falk. «Menschen in einer Kriegszone einzusperren, ruft die schlimmsten Erinnerungen an das Warschauer Ghetto hervor und an Belagerungen, die unbeabsichtigt in Kriegsphasen vorkommen.» http://bazonline.ch/ausland/naher-osten-und-afrika/UnoExperte-vergleicht-Gaza-mit-Warschauer-Ghetto/story/22401157

Die Actionfrau:
Sara Flounders vom International Action Center in New York trat entschieden für eine Antikriegsbewegung ein, die sich nicht vor den Karren trügerischer Friedensappelle und der Forderung nach Gewaltfreiheit spannen läßt, welche die verzweifelte Gegenwehr des schwachen Opfers mit dem Wüten des haushoch überlegenen Aggressors gleichsetzt. Die Palästinenser hätten das Recht auf Widerstand, das Recht, Raketen abzufeuern und Tunnel zu graben. Sie wehrten sich mit den vorhandenen Mitteln wie vor ihnen die Vietnamesen gegen die US-Armee und die Juden im Warschauer Ghetto. “Gaza ist das Warschauer Ghetto heute”, sagte Flounders und machte sich damit keines unzulässigen Vergleichs schuldig. http://www.schattenblick.de/infopool/politik/report/prber010.html

Oona und Jenny:
Zwei britische Parlamentsmitglieder haben bei einer Pressekonferenz die Zustände im israelisch besetzten Gaza-Streifen mit dem Warschauer Ghetto der Nazizeit verglichen, berichtet der britische Guardian. Die beiden Abgeordneten, Oona King und Jenny Tonge waren von einer Reise in den Gaza-Streifen zusammen mit der Hilfsorganisation Christian Aid zurückgekehrt und hatten am Donnerstag eine Pressekonferenz gegeben, um ihre Eindrücke mitzuteilen. King, selbst Jüdin, sagte , daß Gaza “den gleichen Charakter” wie das polnische Ghetto habe. “Keine Regierung sollte sich so benehmen - und am allerwenigsten eine jüdische”, sagte sie. [...] Über ihren Vergleich mit Warschau sagte sie: “Es hat den gleichen Charakter, aber nicht die gleichen Ausmaße.” Sie betonte den “sehr, sehr großen Unterschied” zwischen Gaza und dem Warschauer Ghetto. “Palästinenser werden nicht zusammengetrieben und in Gaskammern gesteckt.” “Was es aber ähnlich macht, ist was den Juden damals passiert ist: die Beschlagnahmung ihrer Grundstücke, die Vertreibung von ihrem Besitz, Folter und bürokratische Kontrolle der kleinsten Dinge.
http://www.freace.de/artikel/jun2003/ghetto200603.html

Der Sohn:
Last week Finkelstein and I had a meal with a third friend and Finkelstein told some stories about his mother and father in the Warsaw Ghetto. I’d known that his parents were concentration camp survivors, I didn’t know they were in the Warsaw Ghetto.  I said, How do you feel when I say that Gaza reminds me of what I learned about the Warsaw Ghetto as a boy? Finkelstein said, I don’t really have a problem with it. My mother never said, “Do not compare.” She always told about her experience not to keep it hers, but to embrace others with her suffering. She didn’t see it as the unique property of the Jews. http://mondoweiss.net/2010/06/a-conversation-about-the-warsaw-ghetto.html

Norman Paech auf seiner eigenen Homepage
“Britische Jüdinnen und Juden sehen sich an Warschauer Ghetto und Nazi-Mord durch Hunger erinnert”
http://www.norman-paech.de/eintrag+M50afbc2e278.html

Siehe auch:
Der Augenzeuge hat nichts gesehen
http://www.youtube.com/watch?v=Ptz8pA_pg0A

 

 

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