Sie haben das Recht zu schweigen. Henryk M. Broders Sparring-Arena

Henryk M. Broder

05.07.2010   01:47   +Feedback

Den Samstag spüren. Ein Stück weit.

Wenn ein Jude, der in Deutschland, Frankreich, Albanien oder Texas lebt, für sich entscheidet, dass ihm Israel am Arsch vorbei geht, weil er sich in Malsburg-Marzell, Tirana, Dijon oder Huntsville besser fühlt, dann ist das keine kluge aber eine legitime Wahl. Warum aber Juden, die in Israel nicht leben wollen, aus ihrer privaten Antipathie eine politische Haltung machen, die sie mit dem Eifer von Abstinenzlern vertreten, die dem Alkohol abgeschworen haben, warum sie also andere Juden dazu überreden wollen, ihrem Beispiel zu folgen und Israel adieu! zu sagen, das kann nur mit der Psychopathologie marginalisierter Existenzen erklärt werden, die ihren Frust gegen sich selber richten. Unter normalen Menschen spricht man von Autoaggression, bei Juden ist es Selbsthass.

Und was dabei herauskommt, wenn man einen präpotenten Ignoranten und eine delirierende Dilettantin miteinander diskutieren lässt, das konnte man neulich in der taz nachlesen.

Da reden zwei miteinander, die vom Judentum, jüdischer Geschichte und Zionismus so viel Ahnung haben, wie eine Weinbergschnecke vom alten Burgunder. Ein Einsteiger und eine Aussteigerin. Besonders anmutig ist diese Passage:

“Mir gefällt es, dass Juden mit Israel einen Ort haben, an dem sie etwa den Samstag als Feiertag spüren können. Ich habe auch gute Erfahrungen damit gemacht, nicht in der Minderheit zu sein. Aber wir müssen auch anerkennen: Wir sind in ein Land gekommen, das nicht unseres ist. Das gilt auch für mich, obwohl die Familie meines Vaters schon seit sechs Generationen in Israel lebt. Aber meine Mutter ist eingewandert, wie die meisten Israelis. Wir haben das Land auf Kosten der Palästinenser aufgebaut.”

Ja, den Samstag als Feiertag spüren zu können, ist etwas Großartiges! Das kann man zwar auch in Brooklyn und in der rue des Rosiers in Paris, aber in Tel Aviv ist es viel schöner, weil man dabei am Strand sitzen, frische Falafel essen und dabei darüber nachdenken kann, seit wie vielen Generationen man in einem Lande lebt, “das nicht unseres ist”. Noch besser ist nur der Satz: “Wenn man Kritik an Israel nur der rechten Szene überlässt, wird es gefährlich.” In der Tat: “Israelkritik” ist eine viel zu ernste Sache, als dass man sie rechten Antisemiten überlassen könnte, man muss ihnen zuvorkommen. Hätten sich die Juden früher selber deportiert, wäre ihnen vieles erspart geblieben.

Mit so viel intellektueller Brillanz mitzuhalten, ist eine echte Herausforderung. Deswegen sagt der andere Anwärter auf den Kova-Tembel-Preis auf die Frage, warum er zum Judentum übergetreten ist: “Weil für mich das Judentum nach einer Phase der Identitätssuche ein Stück weit Heimat und Familie geboten hat.”

Ein Stück weit kann das sogar stimmen. Bei der Heilsarmee war grad kein Zimmer frei.

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