Sie haben das Recht zu schweigen. Henryk M. Broders Sparring-Arena

Henryk M. Broder

20.01.2011   06:50   +Feedback

Kein Weg, nirgends

Aus Anlass der Eröffnung einer Dauerausstellung über das Ministerium für Staatssicherheit in der ehemaligen DDR erklärte der deutsche Bundespräsident Christian Wulff: “Wir dürfen die DDR nicht verklären”, es sei empörend, dass die Täter ihre Opfer verhöhnen würden. “Wir müssen ihnen lauter und vernehmlicher widersprechen!”

Das war letzten Samstag, auf den Tag genau 21 Jahre nachdem Demonstranten am 15. Januar 1990 die Stasi-Zentrale in der Normannenstraße in Belin-Lichtenberg gestürmt hatten. Wulffs Rede war voller Plattitüden, die weder ganz richtig noch ganz falsch waren, so wie sein Satz, der Islam gehöre ebenso zu Deutschland wie das Christen- und das Judentum. So sagte er auch: “Jeder Einzelne hat ein Recht darauf, dass nicht vergessen wird, dass aufgearbeitet und aus der Diktaturgeschichte für die Zukunft gelernt wird.”

Wer würde dem widersprechen wollen? Nicht vergessen! Aufarbeiten! Und aus der Geschichte lernen, damit sie sich nicht wiederholt!

Nur ein paar Tage, bevor Wulff zu seiner Rede gegen das Vergessen anhob, sagte die Vorsitzende der Linkspartei, Gesine Lötzsch, in einer Rede zu Ehren von Rosa Luxemburg: „Die Wege zum Kommunismus können wir nur finden, wenn wir uns auf den Weg machen und sie ausprobieren, ob in der Opposition oder in der Regierung. Auf jeden Fall wird es nicht den einen Weg geben, sondern sehr viele unterschiedliche Wege, die zum Ziel führen.“

Worauf der Vorsitzende der SPD, Sigmar Gabriel, aus allen Wolken fiel: ““Wer glaubt, den Kommunismus ausprobieren zu müssen, sei es in der Opposition oder gar in einer Regierung, dem kann wohl niemand mehr helfen.” Daraufhin erklärte der andere Vorsitzende der Linkspartei, Klaus Ernst, wenn die SPD so weiter mache, “dann kommt sie für uns als Koalitionspartner nicht in Frage”.

Nein, das waren keine Szenen aus einem Irrenhaus, in dem die Patienten die Ärzte spielen, es waren Momentaufnahmen aus der Bonner Republik im Jahre 21 der neuen Zeitrechnung, also nach dem Fall der Mauer. Die juristische Aufarbeitung der DDR ist abgeschlossen, die politische hat noch nicht einmal begonnen. Von einigen ehemaligen Bürgerrechtlern abgesehen, stört sich niemand daran, dass die Vorsitzende der Linkspartei, Gesine Lötzsch, bis zum bitteren Ende der SED angehörte und hinterher ohne einen Anflug von Scham oder Reue Leitungsfunktionen in der PDS übernahm, die sich ihrerseits 2007 in Die Linke umbenannte.

Gesine Lötzsch steht für die gesamtdeutsche Kontinuität da, für das unheilbar gesunde Gewissen der Täter und ihrer Helfershelfer, die sich wieder als Wegweiser auf dem Pfad der politischen Tugend anbieten. Es war ein Fehler, die SED nach dem Ender der DDR nicht zu verbieten und ihr auf dem Umweg über die PDS und Die Linke die Teilnahme am politischen Leben der Bundesrepublik zu ermöglichen. Und Christian Wulff ist nicht nur der Präsident aller Deutschen, er ist auch der Herr der Binse. In seiner “ergreifenden und mahnenden Rede” (BILD) ist er mit keinem Wort auf die Kommunismus-Phantasie der Genossin Gesine eingegangen. Er tat so, als wären “die Täter” Aliens gewesen, die nach getaner Arbeit in den Weiten des Weltraums verschwanden. Dass sie heute im Bundestag und in 13 Landtagen sitzen und in zwei Ländern (Berlin und Brandenburg) mitregieren, überging er ganz souverän. Das ist die Art der Aufarbeitung, vor der “die Täter” keine Angst haben müssen.

So gerne die Deutschen ihre Vergangenheiten bewältigen, so schwer tun sie sich mit der Gegenwart. Nicht nur mit ihrer eigenen. Die Revolte in Tunesien hat sowohl die Politiker wie die vielen Arabien-Experten kalt erwischt. Während die Friedensbewegung und die revolutionäre Linke, die bei jeder “Freiheit-für-Gaza”-Demo vorneweg marschieren, keinen Laut von sich geben, weil weder die Amis noch die Israelis im Spiel sind, hat sich Außenminister Guido Westerwelle zu einem seiner temperamentvollen Statements hinreißen lassen. “Es führt kein Weg an einer wirklichen Demokratie in Tunesien vorbei”, sagte er in Berlin, nachdem der tunesische Präsident sein Land in großer Eile verlassen musste.

Anschließend berichtete die tagesschau der ARD über eine Solidaritätsdemo mit den Tunesiern, die Ben Ali aus dem Amt gejagt hatten.

Die Kundgebung fand vor der tunesischen Botschaft in Beirut statt.
C: Weltwoche 3/11

 

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