Sie haben das Recht zu schweigen. Henryk M. Broders Sparring-Arena

Henryk M. Broder

04.12.2010   20:45   +Feedback

Le cretin rouge

Zu den am meisten überschätzten Politikern der Gegenwart gehört Dany Cohn-Bendit. Wenn er für etwas steht, dann für den Opportunismus der 68er, die sich auf dem langen Marsch durch die Institutionen einen breiten Arsch mit garantierter Altersversorgung angesessen haben. DCB ist eloquent, laut und vorlaut, eine Kreissäge im Dauerbetrieb, das männliche Pendant zu Claudia Roth. Er verkörpert den Willen zur Macht, wobei der Ehrgeiz die Begabung weit übertrifft. Im Talentwettbewerb von Bad Doberan käme er nicht mal ins Achtefinale, für einen Platz im Europa-Parlament hats freilich gereicht.

Als Kindergärtner hat DCB bleibende Spuren hinterlassen, als Politiker muss er sich für einen Platz in der Hall of Fame noch gegen Sahra Wagenknecht durchsetzen. Bis es so weit ist, leistet er Freundschaftsdienste, zuletzt an Jean-Luc Godard, der verdientermaßen in den Verdacht geraten ist, ein Antisemit zu sein. “Stimmt nicht!”, ruft DCB, “mein Freund Godard” ist kein Antisemit, er tut sich nur schwer mit den Juden. Ja, früher kannte jeder Antisemit wenigstens einen anständigen Juden, heute kennt jeder Jude einen anständigen Antisemiten, für den er sich verbürgt. Bei DCB hört sich das so an:

“Damals habe ich begriffen, dass Godard ein Mensch ist, der jeden revolutionären Ansatz ergreift, um seine eigene Geschichte zu überwinden. Das muss man verstehen, wenn man Godard verstehen will: dass sein gesamtes Leben eine permanente Revolte gegen seine Herkunft ist, gegen seine Familie, die zur rassistischen, faschistoiden Schweizer Großbourgeoisie gehörte…
Auf der anderen Seite ist er ein absolut zärtlicher, liebevoller Mensch. Zum Beispiel hat er mir jahrzehntelang, bis wir uns zerstritten, immer im März eine Nachricht zukommen lassen - ‘Happy Birthday’ zu meinem politischen Geburtstag…”

So was würde sogar Erich Mielke zu Tränen rühren. Aber es kommt noch besser:

“Ich mag ihn, weil er einsam ist und in seiner Revolte auch immer einsam war. Er ist zum Beispiel in den Siebzigern nach Kuba gefahren, aber den ganzen Aufenthalt über im Hotelzimmer geblieben. Er kam nicht raus, weil er mit Menschen keinen Kontakt findet…”

Wenn das kein Grund ist, einen Menschen zu mögen! Sitzt den ganzen Tag in seinem Hotelzimmer in Havanna, gibt sich mit “Liberacion Ron de Cuba” die Kante, guckt Russ-Meyer-Filme im Pay-TV und erzählt hinterher, wie toll es auf der Insel war. Was für ein liebenswerter Individualist! Und so einer soll ein Antisemit sein?

“Diese Frage ist nicht lösbar. Aber sie ist interessant, wenn man sich wirklich darauf einlässt. Ich habe kürzlich einen engen Mitarbeiter von Godard angerufen - Romain Goupil, mit dem er sich allerdings seit längerem überworfen hat, was bei Godard immer heißt: Er spricht nicht mehr mit ihm - und habe ihn gefragt: ‘Was meint du, ist Jean-Luc Antisemit?’ Er sagte: ‘Das kann man so nicht sagen. Man muss wissen, aus was für einer Familie er kommt.’

Offenbar gibt es ein Antisemiten-Gen, das vererbt wird. Hinzu kommt eine frühe politische Prägung beim revolutionären Sackhüpfen: “Also, der Antisemitismus oder vermeintliche Antisemitismus von Godard hat seinen Ursprung in dieser maoistischen Phase.” Aber: “Im Grunde genommen geht es Godard bis heute darum: Man hätte die Juden vor den Nazis schützen müssen. Und wer sind die Juden von heute? Die Palästinenser. Deshalb müssen wir sie vor Israel schützen. Es geht nicht darum, ob das richtig ist oder falsch. Das führt nirgendwohin. Jeder hat einen Makel. Wie im Roman, wie im Film. Und das ist Godards Makel.”

Eben. Leni Riefenstahls Makel war ihre Begeisterung für den Führer. Bei Joppi Heesters war es sein Abstecher nach Dachau, und bei Godard ist es seine Idee, die Palästinenser seien die Juden von heute. Jeder Künstler hat eine Macke oder einen Makel. Schlimmer als ein Makel oder eine Macke wäre nur noch eine Freundschaft zu DCB. Wir wollen zu Godards Gunsten annehmen, dass er nichts davon weiss.

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