Sie haben das Recht zu schweigen. Henryk M. Broders Sparring-Arena

Henryk M. Broder

02.12.2010   11:42   +Feedback

Ménage-à-trois

Bundespräsident Christian Wulff hat Israel besucht. Es gab das übliche Programm – u. a. Besuch in der Gedenkstätte Yad Vashem –, und es wurden die üblichen Reden gehalten: Man könne die Vergangenheit nicht ändern, wolle aber gemeinsam für eine bessere Zukunft sorgen. Nur in einer Hinsicht fiel der Besuch ein wenig aus dem traditionellen Rahmen. Wulff wurde nicht von seiner Frau Bettina, sondern von seiner 17-jährigen Tochter aus erster Ehe, Annalena, und einer Gruppe von Teenagern begleitet. Damit, so Wulff, wollte er deutlich machen, dass «Geschichte von Generation zu Generation weitergegeben wird».

Wulff hat es sicher gut gemeint, dennoch muss man befürchten, dass er sich der Tragweite seiner Worte nicht bewusst war. Inzwischen muss man sich nämlich fragen, ob es für die Deutschen nicht besser und gesünder wäre, wenn sie einen Schlussstrich unter ihre Geschichte ziehen und ihre «historische Verantwortung» zu den Akten legen würden. Was in den sechziger Jahren mit der Frage «Wie konnte es nur passieren?» begann, hat die Deutschen aus dem Jammertal ihrer Schuldgefühle in einen Zustand moralischer Überlegenheit geführt. Sie fragen sich nicht mehr, wie «es» passieren konnte, sondern machen sich Sorgen, dass «es» wieder passieren könnte – nicht in Deutschland, sondern in Israel, weil die Juden – anders als die Deutschen – aus ihrer Geschichte nichts gelernt haben.

Vor kurzem fiel mir ein Buch mit dem Titel «Trialog in Yad Vashem» in die Hände. Was ein Triathlon ist, wusste ich – schwimmen, radeln und rennen. Was aber sollte man sich unter einem Trialog vorstellen, der in Yad Vashem stattfindet? Ganz einfach: «Palästinenser, Israelis und Deutsche im Gespräch». Es ist ein therapeutisches Projekt. Denn: «Palästinenser, Israelis und Deutsche sind durch ihre jeweilige Geschichte miteinander verknüpft. Aber Palästinenser und Israelis nehmen fast ausschliesslich ihre eigene Geschichte und ihr eigenes Leid wahr.» In dieser Ménage-à-trois kommt den Deutschen die Rolle der Vermittler zu. Sie wollen die Palästinenser mit der Geschichte der Israelis und die Israelis mit der Geschichte der Palästinenser bekannt machen, dem Holocaust und der Nakba. In Yad Vashem, der Gedenkstätte zur Erinnerung an die Endlösung der Judenfrage in Europa. Ein nobles Unterfangen, denn nicht nur sind die Palästinenser die Juden der Israelis, die Nakba – die palästinensische Katastrophe – ist die Fortsetzung des Holocaust im Nahen Osten. Deswegen fühlen sich immer mehr Deutsche verpflichtet, die Partei der Palästinenser zu ergreifen und die Israelis zu ermahnen, nicht in die Fussstapfen der Nazis zu treten. Klingt ein wenig gaga, ist aber so.

Vor kurzem reiste eine Reporterin des Spiegels bis nach Safed in Galiläa, um von dort über einen Fall von Rassismus zu berichten: Der örtliche Rabbiner hatte die jüdischen Einwohner der Stadt aufgerufen, keine Zimmer an arabische Studenten zu vermieten. Damit nicht genug, fiel ihr noch Schlimmeres auf: «Auf Bänken in Safed steht: ‹Sitzen für Hunde, Schweine und Araber verboten›.»

Damit wurde suggeriert, es handle sich um eine amtliche Massnahme – wie früher «Für Juden verboten» in Nazi-Deutschland. In einer späteren Fassung des Berichts wurde der Satz korrigiert: «Auf Bänken in Safed steht mit Edding geschmiert: ‹Sitzen für Hunde, Schweine und Araber verboten›.» Die Botschaft, obwohl nicht sehr genau, wurde verstanden. Im Forum meldeten sich Leser zu Wort, die historische Parallelen zogen. «Genau solches Verhalten gab es gegenüber den Juden in Deutschland vor den Massenmorden. Da durfte ein alter Jude in der Strassenbahn auch nicht sitzen. Meine Mutti hat sich in einer Art von einem stillen Protest zu ihm gestellt.» – «Es ist schrecklich, dass gerade die Nachfahren derer, die unter Rassismus am schlimmsten litten, jetzt selbst rassistisch geworden sind.»

«Geschichte wiederholt sich. Der Vergleich schmerzt – aber er ist angebracht! Es kann und darf nicht angehen, dass sich der Staat Israel in seinen Handlungen, Äusserungen und Gedanken an die nationalsozialistische Ideologie der deutschen Nazis auch nur annähert! Wehret den Anfängen – auch in Israel selbst gilt das im Innern!» So gesehen wird Geschichte tatsächlich von Generation zu Generation weitergegeben. Jetzt passen die Kinder der Täter auf, dass die Kinder der Opfer nicht rückfällig werden.
C: Weltwoche 48/10

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