Sie haben das Recht zu schweigen. Henryk M. Broders Sparring-Arena

Henryk M. Broder

17.10.2010   00:10   +Feedback

Live aus der Sauna

Die Multikult-Debatte wird immer lustiger. Während Merkel, Seehofer, Gabriel und Westerwelle sich darin überbieten, Sarrazin von rechts und von links zu überholen, steigen Migrations- und Integrationsexperten in die Bütt, um ihre bewährten Irrtümer zu reanimieren. In der Berliner Zeitung von heute ist es Maritta Tkalec, live aus einer “Frauensauna”, wo sie türkische Mädchen belauscht hat:

“Sie verzweifeln an Brüdern, Vätern, Cousins und Müttern, die sie mit Verboten und Barrieren umstellen, an der Ausbildung nach der Schule, am Leben hindern. Statistiken sprechen vom rätselhaften Verschwinden der Mädchen nach der Schule aus der Gesellschaft.”

Das ist ja voll krass, denkt sich der Leser, und überlegt, ob er nicht auch mal, mit einer Burka verkleidet, die Frauensauna besuchen sollte. Und liest weiter im Text von Maritta Tkalec:

“Liegt es am Islam, dass hierzulande Hunderttausende in die Fesseln vormoderner Familienstrukturen und Ehrbegriffe geschlagen sind? Dass sie keinen Weg sehen, ihr persönliches Glück, ihre Würde zu finden?” Was für eine Frage, denkt der Leser, am Wetter wird es nicht liegen. Oder doch?

“Nein, am Islam liegt es nicht”, fährt Maritta Tkalec fort, “vielmehr gleichen die Schicksale jenen aus dem christlichen, altbundesrepublikanischen Milieu der 50er-Jahre, als das katholische Landmädchen als Bildungsproblemfall ohne Perspektive galt. Damals verwehrten deutsche Familien den lernwilligen Töchtern das Abitur, weil die Zukunft sich zwischen Ehe, Kindern und Kirche abzuspielen hatte. Heute machen Mädchen und junge Frauen Schul- und Universitätsabschlüsse, ohne dass das Abendland unterginge.”

Wie wahr. Das alles ist gerade 50 Jahre her und doch schon vergessen. Rund um Tutzing kam es damals zu einer Reihe rätselhafter Ehrenmorde an jungen Frauen, die ohne Erlaubnis ihrer Eltern eine Kirmes besucht hatten. Eine Klosterschule in Gotteszell nahm nur Schülerinnen auf, deren Eltern eine Erklärung unterschreiben mussten, dass sie ihre Töchter auf keinen Fall die Teilnahme am Schwimmunterricht erlauben würden. Und im Stadion von Memmingen wurden vor Beginn der Fussballspiele der Regionalliga Frauen gesteinigt, die beim Nacktbaden im Baggersee erwischt worden waren. Ja, so war es damals im altbundesrepublikanischen Milieu der 50er-Jahre, als die Berliner Zeitung noch dem ZK der SED unterstellt war und die Ost-Berliner zwischen einem Abo und einer Extra-Ration Toilettenpapier wählen konnten.

Auch gut:
Bei Allah, ist es wirklich so schwer zu verstehen, dass es „den Islam“ gar nicht gibt. Was wir im Kopf haben, ist eine selbstgestrickte Verallgemeinerung aus allem, was wir hören und zu wissen glauben. http://www.tagesspiegel.de/meinung/-islam/1959244.html

Es ist höchste Zeit für eine neue Aufklärung, für ein politisches und zivilgesellschaftliches Projekt, das sich für Vernunft, Humanität und Zivilität engagiert, für ein friedliches Zusammenleben in unserer multikulturellen und multireligiösen Demokratie. http://www.tagesspiegel.de/meinung/es-ist-hoechste-zeit-fuer-eine-neue-aufklaerung/1957444.html

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