Sie haben das Recht zu schweigen. Henryk M. Broders Sparring-Arena

Henryk M. Broder

12.05.2011   10:25   +Feedback

In tiefer Trauer

Nun ist Bin Laden schon über eine Woche tot, und Deutschland kommt einfach nicht mehr zur ­Ruhe. Ausgelöst durch eine Bemerkung der Kanzlerin, sie freue sich, dass es den USA gelungen sei, den Al-Qaida-Chef zu töten, beschäftigt die Diskussion das ganze Land, ob man sich darüber freuen darf, dass «ein Mensch» getötet wurde, ganz gleich, was er sich zuschulden kommen liess. Es ist eine ­jener Debatten, die man nur aus grosser Entfernung ertragen kann, nicht nur, weil sie so absurd ist, sondern deswegen, weil die Teilnehmer sich ein Wettrennen um den Ehrentitel «Kretin der Woche» liefern.

Natürlich war Osama «ein Mensch». Was sonst soll er gewesen sein? Ein Elefant im ­Porzellanladen? Ein vegetarisches Sandwich? Eine Achterbahn im Disneyland? Er war ein Mensch, so wie Hitler, Stalin, Pol Pot, Idi Amin, Jack the Ripper, Fritz Haarmann, Charles Manson, Jeffrey Dahmer, Marc Dutroux, ­Henri Landru, der Amokläufer von Winnenden und der «Kannibale» von Rotenburg Menschen ­waren. Sie haben gegessen, getrunken, sind zwischendurch aufs Klo, und man muss befürchten, dass sie ab und zu auch sexuell aktiv waren. Wie Osama Bin Laden.

Osamas Ableben freilich lässt manche Deutsche so reagieren, als wären Mutter Teresa und Albert Schweitzer bei einer Bergwanderung zusammen mit dem Dalai Lama ums Leben gekommen. Ein Hamburger Richter will Angela Merkel wegen «Billigung einer Straftat» vors Gericht bringen. Ein Münchner Journalist macht sich Sorgen, ob der Getötete noch Zeit hatte, Allah zu preisen, bevor er sich ins Jenseits verabschiedete; ein evangelischer Seelsorger fragt im «Wort zum Sonntag»: «Welche Bedeutung hat noch der Satz des Mannes aus Nazareth, dass ich meinem Feind, wenn er mich schlägt, die andere Wange hinhalten soll?» Ein Moralist aus der Öko-Ecke schreibt, Osama sei das «Opfer einer lange geplanten Todesopera- tion» geworden, und: «Gäbe es einen Richter, er könnte den Verantwortlichen für den Mord an Bin Laden nicht einmal mildernde Umstände bescheinigen.» Eine Radiomoderatorin klagt, nun bleibe im Hause Bin Laden «ein leerer Stuhl beim Abendessen».

Von wegen: unfähig zu trauern. Es muss nur der Richtige sterben.

© Weltwoche Nr. 19/11

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