Sie haben das Recht zu schweigen. Henryk M. Broders Sparring-Arena

Henryk M. Broder

28.04.2011   22:23   +Feedback

Physiker und Metaphysiker

Wenn die Kanzlerin nicht weiterweiss, was immer öfter vorkommt, dann gebraucht sie gerne das Wort «alternativlos». Alternativ­los waren die ­Finanzhilfe für Griechenland, der Sparkurs der Bundesregierung, die Entscheidung für den Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan und gegen eine deutsche Beteiligung an der Libyen-Mis- sion der Nato. Zuletzt auch das Hals über Kopf und am Parlament vorbei beschlossene «Moratorium» zur Atomfrage, also praktisch der Ausstieg aus der Kernenergie. Merkels Minister für Umweltschutz, Norbert Röttgen, der auch dem einflussreichen CDU-Landesverband von Nordrhein-Westfalen vorsteht, hat in einem Interview mit der FAZ auf die Frage, ob die «Wucht der Ereignisse in Japan» es ihm leichter mache, seine ­Politik «durchzusetzen», geantwortet: «Es gibt dazu nahezu ­einen parteiübergreifenden Konsens. Ich wage sogar die Prognose: Parteien wie auch Unternehmen, die sich ausserhalb dieses Konsenses stellen, werden das Schicksal der Dinosaurier teilen und aussterben.»

Der baden-württembergische Politiker Winfried Kretschmann, der demnächst zum ersten grünen Ministerpräsidenten in der Geschichte der Bundesrepublik gewählt werden wird, hat in einem Gespräch mit der Bild am Sonntag die Grundzüge seiner Politik erklärt. Dazu gehöre auch eine Umstellung der Autoproduktion: «Weniger Autos sind natürlich besser als mehr.» In Zukunft werde man «Mobilitätskonzepte» anbieten, die «Laufen, Fahrradfahren, Autofahren, Eisenbahnfahren» enthielten. «Das müssen wir so klug vernetzen, dass man gut vorankommt und die Umwelt schont.» Kretschmann macht seit dreissig Jahren grüne Politik. Obwohl von Beruf kein Ökonom, weiss er, dass die Automobilindustrie der Motor der Wirtschaft ist, nicht nur für Baden-Württemberg, wo Mercedes und Porsche produzieren, sondern für die ganze Bundes­republik.

Wenn es bei Mercedes kriselt, fangen in Schleswig-Holstein die Lichter an zu flackern. Unter anderem deswegen, weil Baden-Württemberg, ebenso wie Bayern, zu den wirtschaftlich starken Ländern gehört, die über den «Länder­finanzausgleich» die schwachen Länder ­bezuschussen. Nun will Kretschmann die Auto­mobilproduktion runterfahren, zum Wohle der Umwelt. Es ist ein Traum, so alt wie die grüne Bewegung, deren Vertreter ihre negative Einstellung zum Auto erst dann überdenken, wenn sie einen Dienst­wagen gestellt bekommen. Deswegen muss man nicht befürchten, dass die Bürger von Baden-Württemberg nach Kretschmanns Amtsantritt verpflichtet werden, zum Einkaufen zu laufen, zum Arzt mit dem Fahrrad zu fahren, für Umzüge die Bahn zu nehmen und nur in ausgewiesenen Notfällen die Feuerwehr zu rufen.

Was man dagegen befürchten muss, das ist die allmähliche Transformation der bürgerlichen Demokratie in eine Erziehungsdiktatur, in der die Haltung zur Öko-Frage über die ­Zugehörigkeit oder den Ausschluss aus dem sozialen Netzwerk namens Gesellschaft entscheidet. Massnahmen, die als alternativlos deklariert werden, lassen keinen Zweifel zu, entziehen sich jeder Debatte. Wer sich ausserhalb des «Konsenses» stellt, der hat nicht eine abweichende Meinung, der ist ein Konsensverweigerer, ein Geisterfahrer gegen den Strom der Zeit, der aus dem Verkehr gezogen werden muss, der Sicherheit aller anderen Teilnehmer zuliebe. Wobei das Einzige, was den «Konsens» legitimiert, die Meinung eines Ministers ist oder eine Meinungsumfrage, die eine Stimmung wiedergibt, die ihrerseits von der Nachrichtenlage abhängig ist.

In besonders heiklen Fragen wie der Nutzung der Atomenergie wird von der Regierung eine «Ethikkommission» berufen, in der ­neben Physikern auch Metaphysiker sitzen, die darüber räsonieren, ob die Kernkraft in Gottes Schöpfungsplan vorkommt oder vom Teufel in die Welt gesetzt wurde. Wenn es so weitergeht, werden Moraltheologen demnächst darüber befinden, ob es angesichts der Not in der Dritten Welt ethisch vertretbar ist, Deodorants und Lippenstifte zu benutzen. Die Öko-Debatte ist das Einfallstor für einen ­neuen Totalitarismus, dem es um nichts weniger als das Überleben der Menschheit geht. Es liegt sozusagen ein übergesetzlicher Notfall vor. Ein Notarzt muss nicht an einer roten ­Ampel halten. Und wer die Welt vor dem Untergang retten will, der darf auch im Rückwärtsgang Vollgas geben. Der Segen der Ethikkommission eilt ihm voraus.

C: Weltwoche 17/11

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