Sie haben das Recht zu schweigen. Henryk M. Broders Sparring-Arena

Henryk M. Broder

31.03.2011   09:49   +Feedback

Ein Volk sieht grün

Nichts tut so gut wie ein Blick in alte Zeitungen. Sie müssen nicht mal besonders alt sein. Zwei bis drei ­Wochen reichen schon. Eben noch regte sich ganz Deutschland über den damaligen Verteidigungsminister Guttenberg und dessen Doktorarbeit auf; die Einführung des ­neuen Kraftstoffs E10 trieb die um das Wohlbefinden ­ihrer Autos stets besorgten Deutschen auf die Barrikaden; im Berliner ­Bezirk Kreuzberg riefen ausgerechnet Grüne zum Widerstand gegen den «Ansturm der Touristen» auf, der dazu führt, dass sie sich «wie im Zoo» fühlten. Aufgebrachte Einwohner forderten «mehr Kontrolle, mehr Polizei und mehr Bestrafung durch das Ordnungsamt» in einem Stadtteil, in dem man schon als «Fascho» gilt, wenn man vor zehn Uhr morgens aufsteht oder nach einem Handtaschenraub die Polizei holt. Das waren noch Zeiten! Wie glücklich wären wir, wenn wir die Uhren zurückstellen könnten. Wir kommen nicht einmal dazu, uns wie jedes Jahr über die Einführung der Sommerzeit zu ärgern.

Das sind doch alles Petitessen! Denn in Japan gibt’s ­einen Super-GAU, in Libyen gibt es ­einen Bürger­krieg, und bei uns gibt es eine Revolu­tion. Natürlich eine friedliche, wie immer in Deutschland. Dabei ist eigentlich nicht viel passiert. Es haben nur in zwei Bundesländern, Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz, Wahlen stattgefunden. Das übliche Prozedere. Die einen kandidieren, die anderen gehen auf dem Weg zum Frühschoppen ins Wahllokal und geben einer Partei oder einem Kandidaten ihre Stimme. Und wie immer nach einer Landtagswahl würden sich die Experten auch jetzt darüber streiten, ob landes- oder bundespolitische Aspekte für den Ausgang der Wahl entscheidend waren. Doch diesmal ist es anders. Denn die Wahlen im deutschen Süden wurden weit im Osten entschieden, in Japan.

Es liegt eine makabre Pointe darin, dass die Grünen ­ihren Erfolg ausgerechnet einer Katastrophe verdanken, die den harten Kern ihrer Überzeugung bestätigt hat: dass die Atomkraft nicht beherrschbar ist, dass der Super-GAU jederzeit und überall passieren kann, wo Atommeiler stehen. Und dass nur ein vollständiger Ausstieg aus der Atomwirtschaft die Welt vor dem globalen GAU bewahren kann.

Nun wissen auch die Grünen, dass ihre Macht begrenzt ist. Mögen sie in Stuttgart den ersten grünen Ministerpräsidenten ­stellen und dies als eine «historische Wende» feiern, sie werden es nicht schaffen, die französische Regierung dazu zu bringen, die 58 französischen Reaktoren stillzulegen. Sie werden auch die Chinesen nicht davon abhalten, 60 neue Reaktoren zu bauen. Alles, was sie wollen, ist: mit gutem Beispiel vorangehen. Sie setzen darauf, dass andere Länder nachziehen werden, wenn Deutschland den ersten Schritt macht.

So absurd es auch klingt: Die Mehrheit der Deutschen ist derselben Ansicht. Würde in dieser Woche eine Volksbefragung stattfinden, würden zwei Drittel bis drei Viertel der Bundesbürger für einen sofortigen Verzicht auf die Kernenergie stimmen, ungeachtet aller technischen und finanziellen Konsequenzen. Und so gibt es in der bunten Berliner Republik ­keine Parteien mehr, es gibt nur noch Grüne verschiedener Schattierungen: grüne Grüne, schwarze Grüne, rote Grüne, sogar gelbe Grüne in der FDP, die bei den Landtagswahlen am heftigsten abgestürzt ist. Angela Merkel, Sigmar Gabriel, Guido Westerwelle überbieten ­einander in Bekenntnissen gegen die Atomkraft und für den Ausbau der «erneuerbaren» Energiequellen. Vor Fukushima sprach man von einer Verlängerung der Laufzeiten der Atommeiler um bis zu zwanzig Jahre, seit dem 11. März möchten viele den Aus-Knopf am liebsten sofort drücken.

Vier der siebzehn deutschen AKW stehen in Baden-Württemberg. Zwei von ihnen sollten bis 2019 bzw. 2023 in Betrieb bleiben. Der Betreiber EnBW (Energie Baden-Württemberg) ist das viertgrösste deutsche Energieversorgungsunternehmen. Es beliefert sechs Millionen private und gewerbliche Kunden, beschäftigt mehr als 20?000 Mitarbeiter und hat 2010 über 17 Milliarden Euro Umsatz gemacht. Baden-Württemberg hält 45 Prozent der EnBW-Anteile. Bald wird ein grüner Ministerpräsident darüber bestimmen, wie es mit dem Konzern weitergeht. Eine Aufgabe, um die ihn niemand beneidet. Winfried Kretschmann, 62, ahnt, was ihm bevorsteht. Gefragt, was er von der Siegesfeier in Berlin nach Stuttgart mitgebracht ­habe, antwortete er: «Gute Wünsche!»

(Die Weltwoche 13/11)

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