Sie haben das Recht zu schweigen. Henryk M. Broders Sparring-Arena

Henryk M. Broder

03.03.2011   00:39   +Feedback

Nation Guttenberg

Der deutsche Bundespräsident Christian Wulff hat letzte Woche in einem Gespräch mit dem italienischen Präsidenten Giorgio Napolitano den libyschen Staatschef Muammar al Gaddafi einen “Staatsterroristen” gennant und erklärt, er wirke wie ein “Psychopath”.

Niemand wird die Richtigkeit dieser Feststellung bestreiten. Man kann sich allerdings fragen, warum Wulff nicht schon eher zu dieser Erkenntnis gekommen ist, waren doch die Auftritte von Gaddafi schon immer so irre wie seine Rechtsverletzungen offensichtlich. Aber bis vor kurzem war Gaddafi auch für die Deutschen ein geschätzter und wertvoller Geschäftspartner. Und wenn einer seiner Söhne in einem Genfer Hotel das Personal vermöbelte oder Vater Gaddafi den Vorschlag machte, die Schweiz unter den Nachbarländern aufzuteilen, dann wurde das amüsiert zur Kenntnis genommen. Denn vor allem für die deutsche Feuilleton-Schickeria war Gaddafi ein “Spassmacher”, schlimmstenfalls ein “ironischer Diktator”, der großartige “Rollenprosa” verfasste. So konnte man es bei Arno Widmann vor einigen Jahren lesen, in der Rezension eines auf Deutsch erschienenen Bandes mit Gaddafi-Erzählungen, für Widmann “eines der wichtigsten Bücher dieses Herbstes”. 

Widmann, dessen langer Weg durch die Institutionen ihn von der taz über das Modemagazin VOGUE, das Feuilleton der ZEIT zur Frankfurter Rundschau geführt hatte, war von der literarischen Qualität der Gaddafi-Texte so angetan, dass er nicht einmal erwähnte, dass Gaddafi im Verdacht stand, 1988 den Anschlag auf den Pan Am Flug 103 angeregt zu haben, bei dem 270 Menschen über und in Lockerbie ums Leben kamen. Inzwischen hat es sich Widmann anders überlegt. Am 24. Februar schrieb er in der Berliner Zeitung: “Gaddafi ist verrückt. Das ist keine Meldung. Es ist nichts Neues.” Er, Widmann, habe es schon immer gewusst, aber: “Er (Gaddafi) schien zu verrückt, um wirklich sein zu können.”

Es wird den Deutschen immer nachgesagt, sie seien eine “verspätete Nation”. Das mag so sein, ganz sicher sind sie verspätete Moralisten. Das fängt beim Bundespräsidenten an und hört bei Arno Widmann noch lange nicht auf.

Letzte Woche fand im Bundestag eine “Aktuelle Stunde” statt. Tatsächlich war es ein Tribunal, bei dem über Verteidigungsminister Guttenberg gerichtet wurde. Der verteidigte sich so ungeschickt wie ein Gymnasiast, der im Deutschunterricht bei der Lektüre von Fanny Hill erwischt wurde. Und je kleiner er wurde, umso mehr wuchsen seine Ankläger über sich selbst hinaus.

Es war ein peinliches, würdeloses Schauspiel, bei dem ein Redner sich besonders hervortat: Dietmar Bartsch, der stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Linkspartei. Am Ende seines sechs Minuten langen Statements, in dem er Guttenberg mit einem ertappten “Ladendieb” verglich, der seine Beute zurückgeben muss, und die CDU der “Doppelmoral” beschuldigte, rief Bartsch aus: “Ich appelliere an Ihre Ehre: Früher wusste der Adel, was an so einer Stelle zu tun ist!”

Die Aufforderung, Guttenberg sollte Selbstmord begehen, wurde von den Parteifreunden des Abgeordneten mit Beifall und Gelächter belohnt. Sechs Tage später gab Guttenberg dem Druck der öffentlichen Meinung nach und trat von seinem Amt zurück - eine Art Selbstmord light. “Wer sich für die Politik entscheidet, der darf kein Mitleid erwarten”, sagte er in seiner ersten Stellungnahme als Ex-Minister, er wolle kein “Selbstverteidigungsminister” sein. Und: “Ich war immer bereit zu kämpfen, aber ich habe die Grenzen meiner Kraft erreicht.”

Es war das Ende der längsten Treibjagd in der neueren deutschen Geschichten aus einem Anlass, der kaum nichtiger sein konnte. Zuletzt gaben 23.000 promovierte Akademiker und Doktoranden eine Petition gegen Guttenberg im Bundeskanzleramt ab. Obwohl bis zuletzt eine Mehrheit der Deutschen der Ansicht war, Guttenberg habe sich zwar dumm und falsch verhalten, sollte aber dennoch nicht zurücktreten, sagt die Causa Guttenberg viel über die Moral der Nation Guttenberg aus. Man kann mit Despoten Geschäfte machen, solange sie fest im Sattel sitzen. Straucheln sie, erklärt man sie rückwirkend zu Psychopathen. Schreibt aber einer seine Doktorarbeit ab, gibt es keine mildernden Umstände. Denn ehrlich währt am längsten, Lügen haben kurze Beine, und das Glück gleicht dem Balle, es steigt zum Falle.

© Weltwoche 9/2011

Permanenter Link

Achgut  Inland  

Die Achse des Guten