Sie haben das Recht zu schweigen. Henryk M. Broders Sparring-Arena

Henryk M. Broder

19.02.2011   14:45   +Feedback

Krawall in Entenhausen

Es scheint, als würde derzeit in den Kulissen der FAZ ein Machtkampf toben, wie ehemals im ZK bzw. im Politbüro der albanischen KP, nur natürlich wesentlicher niveauvoller. Zur Halbzeit steht es zwei zu eins für den Kulturchef Bahners gegen den Herausgeber Schirrmacher.

Zweimal innerhalb von nur vier Tagen hat die FAS bzw. die FAZ Passagen aus dem neuen Buch von Bahners vorabgedruckt, am 13.2. - leider nicht online - und am 16.2.; dass Bahners mit dieser PR-Offensive nichts zu tun haben könnte, ist so wahrscheinlich wie eine bevorstehende Fusion der FAZ mit dem ND. Schirrmacher, der eine recht dezidierte Meinung über Bahners hat, die er aber nur privat äußert, zahlte es ihm vorsorglich heim, indem er Thilo Sarrazin bat, das Bahners-Buch zu rezensieren. Ausgerechnet Sarrazin, den Bahners für einen nahen Verwandten des Beelzebubs hält. Der Sarrazin-Text über Bahners (“Erdogans Ghostwriter”) steht heute in der FAZ als Aufmacher im Feuilleton, online ist er hier zu finden.

Wer das für einen Zufall hält, der nur mit dem Erscheinungstag des Bahners-Buches zu tun hat, der glaubt auch an die heilende Kraft von Klosterfrau Melissengeist. Früher wäre eine solche Watsche für den Betroffenen ein Grund gewesen, seinen Hut zu nehmen oder den Watschenmann zum Duell zu bitten. Bahners wird weder das eine noch das andere tun. Denn in Frankfurt geht das Gerücht um, er möchte gerne eines Tages Herausgeber der FAZ werden.

Das alles wäre ein wunderbarer Stoff für eine Boulevardkomödie, wenn es in Deutschland Autoren wie Alan Ayckbourn oder Ben Hecht geben würde. Dass es die nicht gibt, hat auch damit zu tun, dass in den Feuilletons megalomanische Zwerge sitzen, die sich ihre verschwurbelten Texte gegenseitig zum Rezensieren zuschicken. Weswegen Thomas Steinfeld Bahners Buch schon vor dem Erscheinungstag in der SZ zu einem “Meisterwerk der Aufklärung” hochjubelte.
Leider können die Meister der Aufklärung mit ihren eigenen Schriften nicht mithalten. Die kleinen Könige des Feuilletons, in deren Reich die Sonne der Selbstbeweihräucherung nie untergeht, sind generös im Austeilen aber geizig im Einstecken.

Zum Beispiel:
Am 17. Februar erschien auf der Medienseite der FAZ ein Beitrag über den Sarrazin-Montag an der LSE und dessen mediale Resonanz in den deutschen Medien, geschrieben von zwei Mitorganisatoren des Krawalls, die jene sachliche und objektive Position vertraten, die sie bei Sarrazin und mir vermissten. Dass die FAZ diesen Text zweier Amateure, die noch nie für das Blatt geschrieben hatten, abdruckte, muss wohl mit ihrem Anspruch zu tun haben, junge Talente zu fördern, ohne Zeit mit Nachfragen zu vergeuden.

Immerhin: Noch am selben Tag bot FAZ-Redakteur Philip Plickert der German Society an der LSE die Möglichkeit einer Richtigstellung an. Er würde, mailte er nach London, dafür sorgen, dass ein Leserbrief “gleich in die Samstagsausgabe kommt”, wenn er bis 12 Uhr am Freitag bei der FAZ vorliegt. Plickert hat an der LSE Wirtschaftsgeschchte studiert, bevor er Redakteur bei der FAZ wurde.

Tatsächlich kam der Brief am Freitag bei der FAZ an, allerdings erst um 14.28 Frankfurter Zeit, zwei Stunden vor dem allgemeinen und eine Stunde nach Redaktionsschluss der Leserbriefseite. Nun soll der Brief am Montag im Blatt stehen. Wir werden sehen. Hier der exklusive Vorabdruck:


=Der gestern veröffentlichte Artikel „Auf welcher Seite saßen hier die Pöbler“? ist bei vielen Studenten, Freunden und Alumni der LSE auf große Verwunderung gestoßen. Zum einen, weil die Autoren, selbst unter den Demonstranten, eine eindeutig voreingenommene Meinung vertreten und zum anderen, weil die FAZ diesen vor Realitätsverdrehungen strotzenden Brief tatsächlich publiziert. Aus diesen Gründen sehen wir uns gezwungen, die gröbsten Euphemismen in das richtige Licht zu rücken.

Die „organisatorischen“ Gründe, die die Autoren als Grund für die Intervention der Hochschulleitung anführen, sind nichts anderes als der durch ihre Agitation stark vorangetriebene Versuch, eine freie Debatte zu verhindern. Ihre Unterstützer in der zu jenem Zeitpunkt reichlich uninformierten „Students Union“ wirkten massiv auf die „Free Speech Group“ ein, deren Vorsitzender die Veranstaltung schließlich aus „Sicherheitsgründen“ absagte. Die Organisatoren hingegen, die LSE German Society, ließ man bis eine Stunde vor Veranstaltungsbeginn im Dunklen.

Die so „friedlich Protestierenden“ verhinderten die Teilnahme dutzender nicht protestierender Studenten an der Podiumsdiskussion. Während sich die einen den „antifaschistischen“ Plakatmalern anschlossen, versuchten die anderen, per „first come, first squeeze“ Prinzip, die Türen des Waldorf Hilton einzudrücken.

So wie sich die Gegner des Symposiums am Montag zu Richtern über die Meinungsfreiheit aufschwangen, so richten sie nun über die „unsachmäßige“ Berichterstattung praktisch aller großen deutschen Zeitungen – von denen der Großteil selbst durch ihre Auslandskorrespondenten vor Ort vertreten war und sich ein eigenes Bild vom Geschehen machen konnte. Deswegen bleibt anzuzweifeln, ob die anwesenden Journalisten, die sich angeblich auf ihre hilflosen Opfer „einschossen“ wirklich weniger als die „zweihundert deutsche[n] Wissenschaftler und Studenten“, auf deren Unterstützung sich die Autoren berufen, sahen.

Unwichtig ist dabei natürlich, dass lediglich 14 aktuell Studierende und ein Unterrichtender an der LSE ihren offenen Brief unterzeichnet haben (LSE Integration Debate Offener Brief, 17.02.2011). Diese stehen alleine hier auf dem Campus insgesamt mehr als 400 deutschen Studenten gegenüber, deren Mehrheit Mitglieder der LSE German Society waren und sind.

Der „ehrliche und respektvolle“ Diskurs, den sich die Autoren wünschen, lässt nur von „StudentInnen“ und „AkademikerInnen“ „anerkannte Experten“ zu. Für ihre „rational geführte“ Diskussion „disqualifiziert“ man sich durch „öffentliche Auftritte“, die nicht genehm sind. Sie fordern selbstverständlich „kein Redeverbot“, denn sonst müssten sie sich ja die Frage gefallen lassen, warum sie kritisieren, demonstrieren und monieren, anstatt selbst eine Veranstaltung auf die Beine zu stellen.

Dankbarerweise holen sie nun nach, was ihrem „Ihr seid alle Faschisten“ -schimpfenden Mitstreiter vor der Podiumsdiskussion verwehrt blieb: Sie erklären uns, wie wir die Realität zu betrachten haben. Und zwar so: Die Medien „drücken sich vor der (..) so unbequemen Wahrheit“. Die Direktion der LSE, die diese Veranstaltung „sehr ungern“ abgesagt hat (Handelsblatt, 15.02.2011) ist sich scheinbar noch nicht ihrer Verantwortung bewusst, sich durch Absagen unbequemer Veranstaltungen ihren „Ruf“ erhalten zu müssen.

Übrigens: wir Studierenden haben den Briefeschreibern wohl noch „zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt“, denn Mitglieder unseres Komitees haben sich von besagten zwei Autoren am Abend vor Erscheinen ihres Artikels auf dem Campus aufs Schärfste beleidigen lassen müssen, weil sie sich weigerten, für diesen „Qualitätsjournalismus“ Stellung zu beziehen.=
London, 18.2.2011

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