Sie haben das Recht zu schweigen. Henryk M. Broders Sparring-Arena

Henryk M. Broder

26.01.2012   04:18   +Feedback

Wanderer Im Nebel

Wann immer die Bundesregierung nicht weiter weiß oder sich ein Problem vom Hals schaffen möchte,  bittet sie „unabhängige Experten“ um Rat, weil im Kanzleramt und in den 14 Bundesministerien offenbar nur abhängige Beamte Dienst nach Vorschrift schieben, auf deren Sachverstand kein Verlass jetzt. So kam es, dass vor drei Jahren, 2009, ein „Expertengremium“ mit dem Auftrag eingesetzt wurde, ein Gutachten zum gegenwärtigen Stand des Antisemitismus zu erarbeiten.

Dieses Gutachten wurde letzten Montag in Berlin vorgestellt. Es kommt zu einem überraschenden Ergebnis – Antisemitismus sei in der deutschen Gesellschaft noch immer „tief verankert“ – und es nennt auch eine Zahl, die man in allen Studien zum Antisemitismus der letzten Jahre findet. Etwa 20% der Deutschen seien mehr oder weniger antisemitisch eingestellt.  Ferner stellen die „unabhängigen Experten“ fest, der “Antisemitismus in unserer Gesellschaft“ basiere „auf weit verbreiteten Vorurteilen, tief verwurzelten Klischees und auf schlichtem Unwissen über Juden und das Judentum”.

Auch das eine umwerfend neue Erkenntnis, wobei man freilich inzwischen fragen muss, wer wovon weniger Ahnung hat: Die Antisemiten von den Juden oder die Antisemitismusforscher von den Antisemiten. Die Behauptung, Antisemitismus sei eine Folge des „Unwissens über Juden und das Judentum“, gehört ihrerseits in das Reich der Vorurteile und Klischees. Viele Antisemiten, von Voltaire bis Goebbels, waren gebildete Leute und wussten über das Judentum gut bescheid.

Die „unabhängigen Experten“ können nicht einmal sagen, was sie untersuchen, sie drehen sich im Kreise wie Wanderer im Nebel. Nicht alle Gewalttaten, die gegen Juden verübt werden, schreiben sie, müssen „antisemitisch motiviert“ sein. Der Antisemitismus sei „mehr eine Ablehnung der gesamten jüdischen Gemeinschaft als die des einzelnen Menschen“. Es ist, als würden sie einer Frau, die vergewaltigt wurde, raten, es nicht persönlich zu nehmen.

In einem Land, in dem man vor kurzem kein Problem damit hatte, festzulegen, wer Jude, Halbjude und Vierteljude sein soll, tut man sich mit der Definition von Antisemitismus schwer. Wie wäre es damit: Ein Antisemit ist, wer die Juden noch weniger leiden kann als die Antisemitismusforscher.

Erschienen in der Weltwoche, 26.1.12

 

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