Sie haben das Recht zu schweigen. Henryk M. Broders Sparring-Arena

Henryk M. Broder

08.12.2011   14:53   +Feedback

Dünne Decke

Letzten Samstag moderierte Thomas Gottschalk zum letzten Mal die ZDF-Unterhaltungssendung “Wetten, dass…”  Trotz intensiver Suche und zahlreicher Bewerbungen konnte bis jetzt ein Nachfolger für den talentierten Showmaster nicht gefunden werden. Der 60jährige Gottschalk scheint nicht nur der Beste in seinem Fach zu sein, sondern auch der Einzige, dem man eine solche Aufgabe zutraut. Was nicht weiter schlimm wäre, wenn die Personaldecke in anderen Bereichen des öffentlichen Lebens nicht ebenso dünn wie im Showbusiness wäre, z.B. in der Politik. Es ist kein Geheimnis, dass viele Minister und Parteifunktionäre ihre Ämter dem Umstand verdanken, dass sonst niemand bereit ist, die Jobs zu übernehmen.

Besonders kritisch scheint die Lage in der SPD zu sein. Einen Tag nach dem Abschied von Gottschalk fand in Berlin ein Parteitag statt, auf dem die Weichen für die nächsten Bundestagswahlen gestellt wurden. Eine junge, dynamische SPD stellte sich vor, mit dem 92jährigen Altkanzler Helmut Schmidt als Festredner, der in einem Rollstuhl auf die Bühne geschoben werden musste. Seine Rede wurde minutenlang mit Standing Ovations gefeiert. Und hätte der Ex-Kanzler seine Bereitschaft erklärt, für das Amt des nächsten Bundeskanzlers zu kandidieren, wäre er bestimmt per Akklamation nominiert worden.

Schmidt hat in seiner Rede der amtierenden Kanzlerin die Leviten gelesen und sie zur Bescheidenheit und Zurückhaltung aufgerufen. Deutschland sollte auf keinen Fall eine Führungsrolle in Europa anstreben, das wäre eine „schädliche deutsch-nationale Kraftmeierei“. Er warnte auch vor Besserwisserei und Rechthaberei, derselbe Helmut Schmidt, der erst vor kurzem die Amerikaner dafür kritisiert hatte, dass sie Osama Bin Laden nicht festgenommen, sondern “auf dem Boden des souveränen Staates Pakistan” getötet hatten. Das wäre “ganz eindeutig ein Verstoß gegen das geltende Völkerrecht” gewesen.

Ja, Rechthaber und Besserwisser sind immer die anderen. Helmut Schmidt dagegen ist ein “Elder Statesman”. Wetten, dass es für ihn auch dann “Standing Ovations” geben wird, wenn er aus dem Hamburger Telefonbuch vorliest?

© Die Weltwoche 8.12.2011

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