Sie haben das Recht zu schweigen. Henryk M. Broders Sparring-Arena

Henryk M. Broder

27.07.2012   11:37   +Feedback

Macht doch rüber!

Nachdem der Bundestag letzte Woche in einer Sondersitzung einem Rettungspaket über 100 Milliarden Euro für Spaniens angeschlagene Banken zugestimmt hatte, gab Vera Lengsfeld dem „Handelsblatt“ ein Interview, in dem sie auf Parallelen zwischen dem Bundestag und der „Volkskammer“, dem ehemaligen Parlament der ehemaligen DDR, hinwies. Damals wie heute habe die Regierung von den Abgeordneten verlangt, über Entwürfe abzustimmen, die ihnen nicht einmal voll-ständig bekannt waren. Wenn das Parlament “trotzdem so stimmt, wie die Regierung vorgibt, hat es seine Kontrollfunk-tion aufgegeben und gleicht immer mehr der Volkskammer der DDR”. 

Worauf sich über Lengsfeld ein Sturm der Entrüstung entlud. Wie könne sie nur ein frei gewähltes Parlament mit einem Marionetten-Theater wie der Volkskammer vergleichen?

Aber Lengsfeld hat Recht. Nicht nur weil sie in der letzten frei gewählten Volkskammer, die den Beitritt der DDR zur Bundesrepublik beschloss, saß  und anschließend fünfzehn Jahre im Bundestag (zuerst für die Grünen, dann für die CDU/CSU), sondern weil sich die Bundesrepublik schon eine Weile auf dem Weg zu eine zweiten, größeren DDR befindet.

Seit dem Fall der Mauer findet eine langsame Transformation statt, deren Auswirkungen man jeden Tag zum Beispiel in der „tagesschau“ sehen kann, die sich inzwischen nur noch in der Aufmachung von der „aktuellen kamera“ des DDR-Fernsehens unterscheidet.

Waren die Bürger der DDR der Überzeugung, Gleichheit sei wichtiger als Freiheit, und gaben die Bürger der BRD der Freiheit den Vorzug vor Gleichheit, so hat auch hier eine Anpassung stattgefunden. Inzwischen findet die Mehrheit aller Deutschen, Gleichheit komme vor Freiheit, sei sozusagen eine ihrer Vorbedingungen. Unter Chancengleichheit werden nicht gleiche Startbedingungen verstanden, sondern Ergebnisgleich-heit. Alle sollen das Abitur machen, alle sollen gut verdienen, alle sollen sich alles leisten können. Auf diese Weise werden die Fleißigen und die Motivierten ausgebremst, die weniger Fleißigen und weniger Motivierten auf Krücken durchs Ziel getragen. Und immer öfter kann man den Satz hören, in der alten DDR sei vieles gut, manches sogar besser gewesen als in der heutigen BRD.

Ja, dann geht doch rüber!

Erschienen in der Weltwoche vom 26.7.12

Permanenter Link

Achgut  Inland  

Die Achse des Guten