Sie haben das Recht zu schweigen. Henryk M. Broders Sparring-Arena

Henryk M. Broder

27.09.2012   10:04   +Feedback

Ein sensibler Liberaler

Auf den ersten Blick scheint alles ganz einfach. Von Tunesien bis Indonesien tobt ein Mob, der sich in seinen religiösen Gefühlen verletzt fühlt, nachdem ausgerechnet ein arabischer Sender einen in den USA hergestellten Videoclip über den Propheten Mohammed ausgestrahlt hat. Der Mob macht alles platt, das ihm die Quere kommt, bringt einen Botschafter und drei seiner Begleiter um und mag vor lauter Spaß an der Freud gar nicht aufhören zu toben und zu wüten. Alles natürlich ganz spontan ohne jeden Zusammenhang mit dem Jahrestag der Anschläge von 9/11.

Aber so einfach ist die Sache offenbar doch nicht. Guido Westerwelle, der deutsche Außenminister, dessen Partei, die FDP, derzeit in den Umfragen um die fünf Prozent dümpelt, hat seine eigene Theorie von den Vorgängen in der arabisch- islamischen Welt, die an das Gerede von der „kleinen radikalen Minderheit“ erinnert, mit der die RAF in den 70er Jahren kleingeredet wurde. Westerwelle sagt: „Wichtig ist, dass in der westlichen Welt verstanden wird, dass die Gewalttäter nicht repräsentativ für die große Mehrheit der Völker in der arabischen Welt sind. Und dass in der islamischen Welt verstanden wird, dass die große Mehrheit der Menschen im Westen ihre Religion nicht nur respektiert, sondern Beschimpfungen und Beleidigungen auch ablehnt.“

Ja, wenn die einen aufhören zu schimpfen und zu beleidigen, werden die anderen aufhören, Botschaften abzufackeln und Menschen umzubringen. Als Liberaler, sagt Westerwelle, sei er „bei Freiheitseinschränkungen besonders sensibel“. Aber: „Dämliche Meinungen sind das eine, Beleidigungen und Verunglimpfungen etwas anderes.“

Westerwelle weiß zwar, wo die Grenze zwischen dem einen und dem anderen verläuft, dafür tut er sich schwer mit der Logik. Wenn „die Gewalttäter nicht repräsentativ für die große Mehrheit der Völker in der arabischen Welt sind“, warum soll man dann auf deren Gefühle Rücksicht nehmen?

Westerwelle weiß, was sich gehört. Besucht er ein schwulen-feindliches Land wie z.B. Saudi-Arabien, lässt er seinen Lebensgefährten daheim. Denn: „Wir wollen den Gedanken der Toleranz in der Welt befördern. Aber wir wollen auch nicht das Gegenteil erreichen, indem wir uns unüberlegt verhalten.“

Es ist eine wahre Freude, von einem so ausgewogenen Außenminister vertreten zu werden.

Erschienen in der Weltwoche vom 27.9.12

 

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