Sie haben das Recht zu schweigen. Henryk M. Broders Sparring-Arena

Henryk M. Broder

21.03.2013   12:05   +Feedback

Bis Pfingsten

Da „wir“ seit ein paar Tagen nicht mehr Papst sind, können wir uns ein paar kritische Anmerkungen zu der Rolle des Stellvertreters des Herrn in der modernen Gesellschaft leisten.

Natürlich waren wir mit der Wahl von Jorge Mario Bergoglio nicht besonders glücklich. Angesichts der Zusammensetzung des Konklave – 117 Männer und keine einzige Frau – waren wir nicht so naiv, anzunehmen, dass eine schwarze allein erziehende Lesbe auch nur eine Chance gehabt hätte. Aber wir haben gehofft, dass der neue Pontifex sich der Themen annehmen würde, die unter Benedikt XXVI nicht einmal angesprochen wurden: Aufhebung des Zölibats, Zulassung von Frauen zum Priesterdienst und Anerkennung von Homo-Ehen. 

Schon nach wenigen Tagen wurde uns allerdings klar, dass der neue Papst eine andere Agenda hatte. Er sprach von der Gnade der Barmherzigkeit und der Vergebung, von der Pflicht der Kirche, für die Armen da zu sein, er bat Gott um Erleuchtung und die Gläubigen darum, für ihn zu beten.

Lauter nebensächliche Anliegen und Themen, die jeder Dorfpfarrer in seiner Sonntagspredigt abhandelt. Kein Wort zu den Kernfragen der Gegenwart: Zölibat, Frauen am Altar, Homo-Ehen.

Nun werden wir immer wieder gefragt, warum wir auf die Meinung des Papstes so großen Wert legen. Warum wir darauf bestehen, dass er Jahrhunderte alte Regeln über Bord wirft. Dass er die Kirche der Moderne anpasst wie ein Autohersteller, der alle paar Jahre neue Modelle auf den Markt bringt. Wir könnten doch tun und lassen, was wir möchten; Sex haben, mit wem, wann und wo uns danach ist, unsere Kellerbar wie die Sixtinische Kapelle einrichten, Windräder anbeten und für unsere Öko-Sünden auf den Parteitagen der Grünen Abbitte leisten. Wir könnten doch zufrieden sein, wir hätten es doch weit gebracht.

Wer so argumentiert, der verkennt, worum es uns geht.

Gleichheit und Gerechtigkeit! Nicht die göttliche, sondern die irdische. Wir haben das Leistungsprinzip abgeschafft und die Energiewende herbeigeführt, wir werden das bedingungslose Grundeinkommen für alle und eine Frauenquote in den Unternehmen durchsetzen.

Unser Himmelreich wird im Diesseits errichtet werden.

Jetzt geben wir dem neuen Papst noch eine Chance. Sagen wir: bis Pfingsten. Kommt er uns nicht entgegen, ziehen wir die Konsequenzen und treten zu den Protestanten über.

Erschienen in der Weltwoche am 21.3.13

 

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