Sie haben das Recht zu schweigen. Henryk M. Broders Sparring-Arena

Henryk M. Broder

23.01.2013   08:28   +Feedback

Der sprachlose Schwätzer

Es gibt viele Gründe, warum eine(r) Journalist wird. Weil es einer der letzten freien Berufe ist, für den man/frau sich nicht qualifizieren muss. Weil er/sie nichts Ordentliches gelernt und ein Studium erfolgreich abgebrochen hat. Weil man/frau Freikarten zu Filmpremieren bekommt und sich bei Konzerten im Backstage-Bereich aufhalten kann. Weil er/sie in der Kanzler-Maschine zum Staatsbesuch in Moldawien mitfliegen darf. Weil man/frau morgens länger ausschlafen kann als ein Lehrer, der um acht Uhr zum Dienst antreten muss. Oder weil Schreiben Spaß macht und weil es schön ist, eine Leidenschaft zum Beruf machen zu können - wie Bergsteigen bei Reinhold Messner oder Autofahren bei Michael Schumacher. Der Präsident des Europa-Parlaments, Martin Schulz, gibt in aller Offenheit zu, dass er schon als Kind gerne lange Reden hielt - und deswegen Politiker wurde.

Warum aber hat Jörg Lau eines Tages beschlossen, Journalist zu werden? “Ich bin Journalist geworden, weil ich an das Prinzip der Öffentlichkeit glaube.”

Wow! Das ist doch was! Kinder glauben an den Nikolaus, Kommunisten an die klassenlose Gesellschaft, Anhänger des Hinduismus an die Reinkarnation, Vampirjäger an die abschreckende Wirkung der Knoblauchknolle. Jörg Lau aber glaubt an das Prinzip der Öffentlichkeit. Deswegen wurde er Journalist. Würde er an das Prinzip der Vertraulichkeit glauben, wäre er Beichtvater geworden. Oder ein Schloss mit sieben Siegeln.

Es lohnt sich, seinen Text “Warum ich blogge” zu lesen. Darin steht alles, was man/frau schon immer befürchtet hat, aber nicht belegen konnte. Dass viele (wenn nicht die meisten) Journalisten verkappte Erzieher sind, die zwar auch nicht wissen, wos lang geht, es aber anderen erklären. Buchhalter, die ihr eigenes Tun sorgfältig protokollieren, weil sie ein Faible für Zahlen haben und Quantität für Qualität halten. So hat Jörg Lau nachgerechnet, dass er in den zehn Jahren, da er sich in den neuen Formen der Öffentlichkeit “tummelt” wie ein Kind auf einem Spielplatz, über 1.800 Beiträge verfasst hat, zu denen über 170.000 Kommentare erschienen sind, bei insgesamt vier Millionen Seitenaufrufen. (Das schafft die Achse in weniger als zwei Monaten.) Und alles dank seinem “Arbeitgeber, der es duldet und die Sache finanziert”. Ja, auch das musste mal dringend gesagt werden.

Lau schreibt u.a. auch dies: Das Internet ermöglicht starke Selbstselektion. Man sucht und findet nur noch seinesgleichen und klopft sich im Kreis auf die Schulter. Das ist das Problem solcher Blogs wie “Achse des Guten” und stärker noch “PI”. Linke Pendants gibt es wahrscheinlich, sie fallen mir aber bezeichnender Weise nicht ein. Das Internet ist eher ein “rechtes Medium”, wie mir scheint. Anti-elitär, anti-intellektuell, die Neigung zu selbstselektionierenden Meinungsverstärkung fördernd – nicht so sehr den Zweifel, den Einspruch, das Ausprobieren und Ausloten anderer Gedanken. Das ist ein bisschen schade, denn es gibt ja doch so viel zu entdecken. Sagenhaft, in welche Denk-Welten man da eintauchen kann. Aber vielleicht passiert ja auch gerade das auf diese agonale Weise, die hier in den Kommentarspalten üblich ist.

Mit solchen Perlen der Sprachkunst wird belohnt, wer auf agonale Weise in die Untiefen der Lau’schen Logik eintaucht, in deren Mittelpunkt die Neigung zu selbstselektionierenden Meinungsverstärkung steht. Noch schöner hat es nur noch Karl Kraus formuliert: “Es genügt nicht nur, keine Gedanken zu haben, man muss auch unfähig sein, sie auszudrücken.”

Wofür auch dieses Bekenntnis steht: Ich will weiterhin nahezu nichts löschen, niemanden dauerhaft blockieren und ein maximal großes Meinungsspektrum zulassen, bis an den Rand des Justitiablen. Persönlich beleidigende, saudumme oder meine Zeitung (die es möglich macht, dass wir uns treffen) herabsetzende Kommentare lösche ich ohne weitere Begründung. Wir sind hier liberal, aber nicht doof, oder feige.

Mit einem Wort: Wir sind Lau.

Permanenter Link

Achgut  Kultur  

Die Achse des Guten