Sie haben das Recht zu schweigen. Henryk M. Broders Sparring-Arena

Henryk M. Broder

21.01.2013   17:12   +Feedback

Bis der Rentenbescheid kommt

Stellen Sie sich einmal einen Arzt vor, der vor seine Patienten tritt und erklärt, er werde sich von nun an nicht mehr um die Grippekranken kümmern, das würde ihn nur davon abhalten, die Krebskranken zu versorgen. Oder stellen Sie sich einen Richter vor, der Diebe, Räuber und Vergewaltiger ziehen lässt, weil er sich darauf konzentrieren möchte, Mörder ihrer gerechten Strafe zuzuführen. Wäre doch lustig, nicht wahr?

Und dann hören Sie sich das an, was Frau Dr. Juliane Wetzel, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Berliner Zentrum für Antisemitismusforschung, über die Prioritäten im Kampf gegen den Antisemitismus sagt, den sie seit 20 Jahren von ihrem Schreibtisch aus führt. Polemiken wie die von Tuvia Tenenbom seien wenig hilfreich, sie würden nur den Blick auf das wahre Problem verstellen. “Es schadet einer genauen Definition des Antisemitismus und natürlich damit auch einer Bekämpfung des Antisemitismus, wenn der Begriff so inflationär verwendet wird und ausgehöhlt wird.” (http://www.3sat.de/mediathek/index.php?display=1&mode=play&obj=34261)

Nun hat niemand Frau Dr. Juliane Wetzel in den letzten 20 Jahren daran gehindert, mit einer Definition des Antisemitismus rüberzukommen, die sowohl ihren hohen wissenschaftlichen Ansprüchen entsprechen wie der praktischen Arbeit nutzen würde. In einem Land, in dem man noch vor kurzem mit Hilfe zahlloser Experten sehr genau definieren konnte, wer als Jude zu gelten habe, tun sich die Fachleute mit der Definition des Antisemiten viel schwerer. Sie wissen nur, etwa 20% der Deutschen sind es, das haben wissenschaftliche Untersuchungen ergeben, bei denen antisemitische Einstellungen abgefragt wurden. In der Praxis bedeutet das: Die Wissenschaftler kreieren einen Katalog antisemitischer Behauptungen (“Die Juden haben zu viel Macht…”), fragen die ab und bekommen so die Antworten, die sie haben möchten. Kritisch wird es erst, wenn Namen genannt werden. Denn wer will schon als Antisemit geoutet werden? Auch Frau Wetzel meint, es sei “sowieso immer problematisch, jemanden als Antisemiten zu bezeichnen. Man kann höchstens sagen: Der oder der bedient antisemitische Klischees, Ressentiments, Vorurteile”.

Und natürlich ist es auch problematisch, jemanden als Antisemitismusforscher zu bezeichnen. Man kann höchstens sagen: der oder die hat keine Ahnung, wovon er oder sie spricht, aber auch keine Hemmungen, diese Ahnungslosigkeit immer wieder zu artikulieren. Zwanzig Jahre und länger, bis die BfA den Rentenbescheid schickt.

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