Sie haben das Recht zu schweigen. Henryk M. Broders Sparring-Arena

Henryk M. Broder

26.11.2012   05:32   +Feedback

Ein Mann, dessen Frau aus einer jüdischen Familie stammt, kann kein Antisemit sein, oder?

Eine aufgebrachte achgut-Leserin teilt mir mit, sie sei über einen online-Text gestolpert, in dem ich als “deutsch-israelischer Journalist” bezeichnet würde. Ob ich das nicht klarstellen möchte?

Nein, möchte ich nicht, zumal es sich bei dem Autor des Artikels um einen notorischen Schmierlappen handelt, der in einem obskuren Verlag veröffentlicht, der sich seinerseits auf “Verschwörungstheorien, Esoterik und Pseudowissenschaften” wie Ufologie, Astrologie, Geomantie und Germanische Mythologie spezialisiert hat. Den Namen dieses Mannes würde ich nicht einmal dann aussprechen, wenn mich Tomás de Torquemada persönlich darum bitten würde. In diesem Fall kommt der alte “deutsch-israelische”, soll heißen: jüdische Fluch zum Einsatz: “Es soll seiner nicht gedacht werden!”

Dennoch sind ein paar Sätze angebracht, handelt es sich um einen weiteren Fall jener “patologia teutonica”, die nicht nur in obskuren Verlagen ein Obdach findet, die es sich zur Aufgabe gemacht haben, “Informationen” zu verbreiten, “die Ihnen die Augen öffnen”. Der Autor, um den es hier geht, hat auch für seriöse Medien gearbeitet, u.a. den WDR. Dort lief im Jahre 2003 seine “Dokumentation” über die Anschläge vom 11.Sepember 2001: “Aktenzeichen 11.9. ungelöst”. Erst nach der Ausstrahlung merkten die Verantwortlichen des größten ARD-Senders, wen und was sich da ins Haus geholt hatten, und beendeten ihre Zusammenarbeit mit dem Filmemacher, der sich daraufhin lauthals über das gegen ihn verhängte “Berufsverbot” beschwerte.

In einer längeren Titelgeschichte über Verschwörungstheorien und Verschwörungstheoretiker (“Panoptikum des Absurden”) würdigte auch der SPIEGEL die Arbeit des “Dokumentaristen” als “Spökenkiekerei “, er habe die Neigung, “Nonsens zu Nachrichten aufzublasen” und gehe “bis an den Rand der Fälschung”. Ähnlich urteilte auch der FOCUS in einer Geschichte über “Geschäfte mit Gerüchten”. Der Spökenkieker des WDR habe schon vorher auf seiner Website gemutmaßt: „Steckte Scharon hinter den Anschlägen vom 11. September?“

Aber das war noch lange nicht alles. Die Wochenzeitung “Jungle World” nannte ihn einen “offenen Antisemiten” und belegte dies mit seinen Spekulationen darüber, wer tatsächlich für die den Palästinensern zugeschriebenen Anschläge auf Busse in Israel verantwortlich wäre. “Heuert irgendjemand einen ahnungslosen Palästinenser an, damit er für zehn Schekel, oder wie diese Währung auch immer heißt, eine Plastiktüte oder ein Paket transportiert, wobei dieser jemand dann im geeigneten Moment auf den Knopf seiner Fernsteuerung drückt?”

Worauf sich der Terrorexperte umgehend die Behauptung verbat, er wäre ein offener Antisemit - mit einer bemerkenswerten Begründung aus dem Panoptikum des Absurden. So etwas wäre “beleidigend, ehrenrührig und auch geschäftsschädigend”. Ihm Antisemitismus vorzuwerfen, “macht schon deswegen keinen Sinn, weil seine Frau aus einer jüdischen Familie stammt”. Als praktizierender Nicht-Antisemit bekannte er sich zur historischen Verantwortung gegenüber den Juden, mit einer Begründung, die noch umwerfender war: “Die Verbrechen an den Juden haben ein Recht auf einen angemessenen Platz in der Geschichte. Sie haben ein Recht darauf, dass man an sie denkt und sich ihrer als Warnung erinnert - auch als Warnung vor Verbrechen der Juden. Denn sonst wäre das Opfer Millionen jüdischer Menschen völlig umsonst gewesen.”

Neun Jahre später warnt der Nicht-Antisemit noch immer vor den Verbrechen der Juden, die sie an den Palästinensern begehen. Auf die schriftliche Anfrage einer Leserin, warum er “nicht auch mal von den Gräueltaten der Hamas” schreiben würde, das sei “keine antiisraelische sondern antisemitische Einstellung”, belehrte der Freund der Juden und Jüdinnen die Leserin:

“Nach höchstrichterlicher Rechtsprechung ist der unbegründete Vorwurf des Antisemitismus eine schwerwiegende Persönlichkeitsrechtsverletzung (KG Berlin 9 U 142/08). Mit meiner E-Mail an Sie oder meiner Berichterstattung läßt sich dieser Vorwurf keinesfalls begründen. Mit Ihrer offenen Ankündigung, mich denunzieren und damit beruflich schädigen zu wollen, nähern Sie sich dem Tatbestand des § 241a StGB (Politische Verdächtigung). Im Verwirklichungsfall behalte ich mir vor, gegen Sie vorzugehen. Bereits der Versuch ist strafbar.” Mit der Auskunft verbunden war auch eine Auflistung aller seiner Bücher und die Bitte “Spenden Sie für meine Arbeit” mit Angabe der Bankverbindung.

So sensibel reagiert ein Nicht-Antisemit auf den Vorwurf des Antisemitismus. Wie “beleidigend, ehrenrührig und geschäftsschädigend” muss ein solcher Vorwurf erst gegenüber einem Antisemiten sein, dessen Frau nicht aus einer jüdischen Familie stammt?

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