Sie haben das Recht zu schweigen. Henryk M. Broders Sparring-Arena

Henryk M. Broder

16.05.2013   23:39   +Feedback

Frieden total

Der Tod, hat der Lyriker Paul Celan in seinem bekann-testen Gedicht geschrieben, sei „ein Meister aus Deutschland“; die 1944 entstandene „Todesfuge“ steht in vielen Anthologien und Schulbüchern und wird bei jeder zweiten Gedenkfeier für die Opfer des NS-Regimes rezitiert.

Würde Celan, der 1970 Selbstmord beging, heute noch leben und dichten, käme er vermutlich auf die Idee, ein anderes Gedicht zu schreiben: „Die Verspätung ist ein Meister aus Deutschland“. Nein, nicht wegen der Routine bei der Bundesbahn. Sondern weil die Deutschen immer anderen hinterher hinken.

Sie sind eine „verspätete Nation“, „verspätete Antifaschisten“, die das Dritte Reich umso schlimmer finden, je länger es tot ist, und „verspätete Pazifisten“, die sozusagen die Seiten gewechselt haben. Statt nach einem „totalen Krieg“ sehnen sie sich nach einem „totalen Frieden“.

Freiburg, Münster, Osnabrück und Tübingen tragen ganz offiziell den Vornamen „Friedensstadt“, ebenso die Siedlung Weißenberg in Brandenburg südlich von Berlin. Jedes Jahr werden etwa zwei Dutzend Friedenspreise verliehen, vom Friedenspreis des Deutschen Buchhandels bis zum Petra-Kelly-Preis der Heinrich-Böll-Stiftung. Eine der bekannteren Auszeichnungen ist der Aachener Friedenspreis, der von einem überparteilichen und überkonfessionellen Verein vergeben wird.

Dieses Jahr fiel die Wahl auf drei Schulen – ein Gymnasium in Berlin, eine Gesamtschule in Düsseldorf und eine Berufsschule in Offenbach -, deren Schulkonferenzen beschlossen haben, keine „Jugendoffiziere“ der Bundeswehr mehr zu Vorträgen einzuladen, um die Schüler vor der Versuchung zu bewahren, Berufssoldat zu werden.

In der Preisbegründung heißt es u.a.: „Wir wollen den Mut und die Courage der Schülerinnen und Schüler, der Eltern, Lehrerinnen und Lehrer mit dem Aachener Friedenspreis 2013 würdigen und gleichzeitig ein Signal gegen den Mainstream der Militarisierung in unserer Gesellschaft setzen.“

Es gehört wirklich viel „Mut und Courage“ dazu, im Jahre 2013 gegen den „Mainstream der Militarisierung“ zu Felde zu ziehen. In Berlin regiert eine Militärjunta, der Verkehr wird von der Militärpolizei geregelt und das KZ Buchenwald bei Weimar steht kurz vor seiner Inbetriebsnahme. Das ist schlecht für Deutschland, aber gut für die Friedensbewegung.

Erschienen in der Weltwoche vom 16.5.13

 

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