Sie haben das Recht zu schweigen. Henryk M. Broders Sparring-Arena

Henryk M. Broder

08.05.2013   16:41   +Feedback

Reich und reich ist nicht immer gleich

Vor anderthalb Jahren, als Joachim Gauck noch nicht Bundespräsident war, nannte er die Occupy-Wall-Street-Bewegung, die auch nach Deutschland übergeschwappt war, „unsäglich albern“. Der Traum von einer Welt, in der man sich der Bindung von Märkten entledigen könne, so der Präsident in spe, sei „eine romantische Vorstellung“. Es sei ein Irrtum, zu glauben, dass alles gut würde, wenn man das Kapital besiegt habe.

Inzwischen wurde Gauck durch widrige Umstände im Privatleben seines Vorgängers, Christian Wulff, in das höchste Amt der Bundesrepublik gespült. Und so wie sich Freunde der freien Liebe gleich nach der Heirat in Propagandisten der monogamen Lebensweise verwan-deln, so hat auch Gauck mittlerweile eine staatstragende Attitüde angenommen. In einem Interview mit dem „Stern“ sagte er: „Wer Steuern hinterzieht, verhält sich verantwortungslos oder gar asozial.“ Er sprach sich für die Einführung „strengere Gesetze“ aus, „die aus einer fragwürdigen Handlung einen Straftatbestand machen“.

Und er stellte fest: „Ich finde es nicht unmoralisch, reich zu sein. Ich finde es unmoralisch, unmoralisch reich zu sein.“

Nun, wenn man aus jeder „fragwürdigen Handlung“ einen „Straftatbestand“ machen würde, könnte man den sozialen Wohnungsbau einstellen und mit den frei gewordenen Mitteln Gefängnisse bauen: für Autofahrer, die ihre Parkzeit überschreiten, Leute, die in der U-Bahn zwei Plätze besetzen, Nachbarn, die um Mitternacht duschen oder ihren Müll nicht trennen. Das sind alles „fragwürdige Handlungen“, Steuerhinterziehung ist aber schon länger ein Straftatbestand.

Das scheint der Bundespräsident übersehen zu haben. Und wenn er zudem sagt, er finde es „unmoralisch, unmoralisch reich zu sein“, dann stellt sich die Frage, wo die Unmoral des Reichtums anfängt. Aus der Sicht eines Sozialhilfeempfängers, der mit 400.- Euro im Monat auskommen muss, könnte es ein Repräsentant des Staates sein, der jährlich 217.000.- Euro Gehalt und dazu etwa 78.000.- Euro „Aufwandsentschädigung“ bekommt. Und nach dem Ausscheiden aus dem Amt einen lebenslangen „Ehrensold“ in Höhe der Jahresbezüge. Und alles dafür, dass er die Ernennungsurkunden ausländischer Diplomaten entgegennimmt, Gesetzte signiert und Reden hält.

Man könnte das auch „unsäglich albern“ nennen.

Erschienen in der Weltwoche vom 8.5.13

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