Sie haben das Recht zu schweigen. Henryk M. Broders Sparring-Arena

Henryk M. Broder

09.12.2009   00:08   +Feedback

Die Schuldfrage

Hallo Herr Broder,
ich habe diese Adresse auf Ihrer Webseite gefunden und hoffe, dass Sie
mir eine Frage beantworten können.
Die Frage ist ganz einfach, sie lautet:
Warum sollte ich mich als Deutscher für die von Deutschen an Juden
begangenen Verbrechen schuldig fühlen?

Vielleicht sollte ich kurz erwähnen, warum ich gerade Ihnen schreibe.
Zum einen, weil ich persönlich keine Juden kenne (zumindest nicht
bewusst), zum anderen weil ich sie für jemanden halte, der eine
kritische Haltung auch gegenüber anderen Juden hat und von dem ich mir
etwas mehr als übliche Betroffenheitsfloskeln erwarten würde.
Deswegen war ich auch ein wenig überrascht, als ich ihr Streitgespräch
mit Erich Follath im Spiegel las, in dem Sie, so hab ich es zumindest
verstanden, den Deutschen unterstellen, allesamt von Schuldgefühlen
beladen zu sein und sich insgeheim auch mal in die Opferrolle
wünschen.

Um gleich mal meine Meinung dazu vorwegzunehmen: Das halte ich für
ausgemachten Schwachsinn.

Ich denke es könnte hilfreich sein, wenn ich kurz ein paar Zeilen zu
mir selber schreibe, dann lassen sich meine Ausgangsfrage und die
Hintergründe etwas besser verstehen.
Also, ich bin männlich, Jahrgang 73, stamme aus dem damaligen
deutschen Westen und würde mich politisch eher dem linken
Arbeitermillieu zuordnen (was jetzt nichts darüber aussagt, was ich in
den letzten Bundestagswahlen gewählt hab, da werde ich nämlich von
Jahr zu Jahr ratloser, aber das ist ein anderes Thema).
Ich halte mich persönlich für “durchschnittlich ausländerfeindlich”,
und zwar in dem Sinne, dass ich nichts gegen andere Kulturen, Rassen,
Hautfarben oder sonstwelche Unterscheidungskriterien habe, wohl aber
Menschen, die sich in einer Gastgesellschaft nicht integrieren, die
Sprache nicht annehmen und sich komplett asozial verhalten. Dabei ist
mir völlig klar, dass dieses Verhalten, was viele Ausländer an den Tag
legen, ausschliesslich bedingt ist durch ihre mangelhafte Bildung und
Erziehung. Im Übrigen habe ich auch wenig übrig für Deutsche, die
nicht integriert sind, die deutsche Sprache nicht beherrschen und sich
komplett asozial verhalten. Und nein, damit meine ich nicht nur Bayern
;-)

Was ich also hauptsächlich aussagen wollte: ich bin keinesfalls ein
Antisemit, wie gesagt, ich kenne noch nicht mal Juden, man sieht “sie”
ja nicht in der Öffentlichkeit, wenn man mal vom Zentralrat absieht,
der sich aber seit Jahren regelrecht selbst demontiert. Also bitte
glauben Sie mir, wenn ich Ihnen versichere, dass auch ein Michel
Friedman bei mir zu allergischen Hautreaktionen führt, aber lange noch
nicht ausreicht um so etwas wie Hassgefühle zu entwickeln.

Also zurück zu meiner Ursprungsfrage, die Frage nach der Schuld der Deutschen.
Ich möchte nicht die schrecklichen Taten bestreiten, die Deutsche
hauptsächlich in den Jahren 1933 - 1945 begangen haben, noch die
absolute Einmaligkeit dieses Genozides. So etwas wie der Holocaust ist
sicherlich in der Form niemals vorher passiert und wird auch
hoffentlich nie wieder in der Geschichte der Menschheit vorkommen.
Nur frage ich mich: was hab ich jetzt konkret damit zu tun?
Kann ich mich nicht eigentlich nur für etwas schuldig fühlen, was ich
begangen habe. Eine Fehlentscheidung, die ich getroffen habe, etwas,
was ich bereuen müsste?

Das selbe eigentlich schon bei meinen Eltern (Jahrgang 33 und 35),
beide meiner Meinung nach eher Opfer, zumindest Opfer des Weltkrieges,
ohne Möglichkeit auch nur irgendwas am Schicksal Ihrer jüdischen
Verwandten zu ändern.

Meine Grosseltern. Das wäre auf jeden Fall die Tätergeneration.
Alle vier keine Parteimitglieder gewesen. Meine Grosseltern
väterlicherseits beide kurz nach Kriegsende umgekommen, der Grossvater
von russischen Truppen erschossen, die Grossmutter ein Jahr später
dann in Königsberg, wo sie herstammten, verhungert.
Mein Grossvater mütterlicherseits war Soldat in der Wehrmacht, wurde
an der Ostfront gefangen genommen und 1949 wieder frei gelassen. Auch
vierzig Jahre danach kamen ihm noch die Tränen, wenn man nach der Zeit
im Krieg und in der Gefangenschaft fragte. Meine Grossmutter musste in
der Zeit dann alleine meine Mutter durchbringen, Nächte im
Luftschutzbunker, blabla, Sie kennen das alles sicherlich.

Zugegeben, auch meine Grosseltern hätten Juden helfen können, sie
verstecken können, sie mit Nahrungsmitteln versorgen.
Haben sie nicht. Gründe kenn ich auch nicht, vielleicht keine
Gelegenheit gehabt, Angst, vielleicht sind auch sie der Propaganda
erlegen gewesen und haben Juden gehasst.

Ehrlich gesagt, wenn ich mir jetzt die Frage stelle, ob ich mich
damals anders verhalten hätte, ob ich aktiv in den Widerstand gegangen
wäre oder Juden bei mir versteckt hätte, ich weiss es nicht. Ich bin
mir sicher, dass dazu mehr Mut notwendig ist, als ich ihn habe.
Und genau deswegen fällt es mir schwer, mich für meine Vorfahren zu
schämen, mich mitschuldig zu fühlen.

Ich möchte Ihnen noch etwas erzählen, was mir persönlich (und ich
denke ich kann da schon fast für meine Generation sprechen) geholfen
hat, keine Schuldgefühle zu haben.

Es gibt ja nicht wenig Stimmen, die behaupten, dass das Dritte Reich
und die ganzen Gräueltaten nur in Deutschland möglich waren, weil
Deutsche per se eine Beamtenmentalität haben und Befehle gewissenhaft
erledigen. Nun, ich denke dem ist nicht so.

Klar wurde die fast vollständige Ausrottung (schlimmes Wort, mir fällt
grad nichts Besseres ein) der deutschen Juden durch die deutsche
Bürokratie und die deutsche “Gründlichkeit” erst ermöglicht, aber ich
glaube nicht, dass deswegen Deutsche anders sind als beispielsweise
Senegalesen, mit dem Unterschied, dass es halt schon seit mehreren
Jahrzehnten einen funktionierenden Beamtenstaat gab.

Ein Beispiel, dass die Geschichte sich auch in ähnlich organisierten
Kulturen wiederholen kann, bietet der Roman “Die Welle” von Morton
Rhue.

Ich hoffe daher, dass Sie mir beipflichten, wenn ich sage, dass
Deutsche nicht schlechter (oder besser) als andere Völker sind.

Wenn ich jetzt also zusammenfassen darf:
Ich selber habe mich nicht falsch verhalten, meine direkten Verwandten
(eigentlich) auch nicht und ich trage auch kein Killer-Gen oder so
etwas in mir.

Warum sollte ich mich dann schuldig fühlen?

Ich würde mich wirklich von Herzen freuen, wenn Sie mir darauf eine
Antwort geben können, ich bin da wirklich ratlos und möchte gerne Ihre
Haltung zu dem Thema verstehen.

Mit freundlichen Grüssen nach Berlin,
C. S.

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