Sie haben das Recht zu schweigen. Henryk M. Broders Sparring-Arena

Henryk M. Broder

01.04.2000   13:04   +Feedback

Freakshow mit vollintegrierter Hose

Früher, als es noch kein Fernsehen, keine Peep-Shows und kein Internet gab, sind die Menschen auf Messen und Jahrmärkte gegangen, um sich Freak-Shows anzuschauen: Damen ohne Unterleib, Männer mit Brüsten, Kälber mit zwei Köpfen, siamesische Zwillinge, Affenmenschen und Ärsche mit Ohren. Heute werden solche Sensationen von Linda de Mol und Stefan Raab jedermann frei Haus geliefert, aber das Bedürfnis, Freakshows live zu erleben, ist geblieben. Einmal im Jahr gibt es den Parteitag der Grünen, das Oktoberfest und die deutsche Vorentscheidung zum Grand Prix. Das ist eine ganze Menge, aber für echte Freak-Fans ist es nicht genug. Deswegen finden überall in der Republik immer wieder Diskussionen über “Deutsche und Juden”, “Jüdische Identität” und “Jüdisches Leben in Deutschland” statt. Irgendwie geraten viele Deutsche in einen Zustand der Erregung, wenn sie nur das Wort “Jude” hören oder lesen (wie Kinder, die “ficken” und “Votze” ins Diktatheft schreiben), und auch viele Juden genießen den Thrill, als diskursive Wichsvorlage gebraucht zu werden. So kommt man motiviert zusammen, sabbert sich an und hat hinterher das Gefühl, sich wenn schon nicht nahe, so doch näher gekommen zu sein.

Eine besonders gelungene Veranstaltung dieser Art gab es im April in München. In der Reihe “Reden über Gott und die Welt” diskutierten drei Damen und zwei Herren über “Die Deutschen und ihre Tabus”, genauer: über die Frage: “Sind Juden noch immer etwas Besonderes?”


Der Flyer zur Freak-Show

Man stelle sich nur einmal eine solche Debatte unter dem umgekehrten Vorzeichen vor: “Die Juden und ihre Tabus: Sind Deutsche noch immer etwas Besonderes?” Es wäre eine Lachnummer, die mit dem Karl-Valentin-Preis ausgezeichnet würde. Andersrum ist die Fragestellung zwar genauso idiotisch, artkuliert aber ein beliebtes Ressentiment. Nur daß statt der klaren Feststellung “Saujud” die unschuldige Frage in den Raum gestellt wird, ob Juden “immer noch etwas Besonderes” sind.

Die Veranstalter der Diskussion, das Stadt Forum in Verbindung mit dem Kulturreferat der Landeshauptstadt München, hätten auch David Irving und ein paar anständige und kompetente Antisemiten einladen können, sie haben es aber für sauberer gehalten, Juden und Als-ob-Juden zu verpflichten. (Über die Frage, ob Frauen von Natur aus dümmer sind, hätten sie dementsprechend nur Frauen und Transen diskutieren lassen.)

So kam eine Horror-Runde zusammen, die jedes Gruselkabinett der Welt gesprengt hätte: Iris Berben, die seit dem Jom-Kippur-Krieg mit einem Israeli zusammenlebt und bereits angedroht hat, zum Judentum überzutreten, falls Israel noch einmal ums Überleben kämpfen müßte; Cilly Kugelmann, die weibliche Alternative zu Micha Brumlik; Doron Rabinovici, der in Wien “unser Armani-Jude” genannt wird, ein lieber Kerl, der sich die Zeit damit vertreibt, die Österreicher den Antifaschismus zu lehren; Lea Rosh, die deutsche Alternative zu Giora Feidman, und schließlich mein rechtsradikaler Freund Michael Wolffsohn, der nicht so doof ist, wie er manchmal tut, aber einen Sprachfehler hat und die Worte “Nein, danke, ich mag nicht” nicht aussprechen kann.

So wurde in Top-Besetzung ein Tabu angegangen, das vor allem den sogenannten Nichtjuden, wie sich die arische Mehrheit inzwischen selbst definiert, zu schaffen macht: “Für einen Nichtjuden aus Deutschland grenzt es immer noch an eine Tabuverletzung, wenn er etwa Fragen der Integrationsfähigkeit der Juden zu diskutieren anhebt.”

So viel Stuß verdient Anerkennung. “Nichtjuden aus Deutschland”, nicht in Deutschland, machen sich Sorgen um die “Integrationsfähigkeit der Juden” - aus Deutschland oder in Deutschland? Und eine Handvoll Juden und Hobby-Juden sorgt sich mit - Gott und der Welt zuliebe.

Es war eine Super-Freak-Show. Hinterher gab es Weißwürste und Laugenbrezen. Alle waren zufrieden. Bis auf ein paar Spanner aus der Provinz, die gekommen waren, um Iris Berben unter den Rock zu gucken. Die hatte aber eine vollintegrierte Hose an. Hinterher wurde gerätselt, ob sie darunter denselben geilen Baumwollslip trug wie in der Premiere World Werbung. Damit müssen Juden und Nichtjuden aus Deutschland leben: Nicht alle Tabus können auf einmal verletzt werden.

1.4.2000

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