Sie haben das Recht zu schweigen. Henryk M. Broders Sparring-Arena

Henryk M. Broder

15.03.2005   12:03   +Feedback

Warum amnesty international die Überfälle auf Döner-Buden am Arsch vorbei gehen

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Der »Verein Opferperspektive« in Potsdam hat eine 32-seitige Broschüre über »Rechte Gewalt gegen Imbissbetreiber mit Migrationshintergrund« herausgebracht, soll heißen: Überfälle und Brandanschläge auf Imbiss-Stände, die von Asiaten und Türken betrieben werden.

Endsieg gegen die China-Pfanne: Deutsche Bratwurst
Endsieg gegendie China-Pfanne: Deutsche Bratwurst

Denn während die einen für eine »deutsche Quote« im Radio kämpfen, wollen die anderen der deutschen Bulette und der deutschen Bratwurst zum Endsieg gegen die artfremde »China-Pfanne« und den entarteten Döner verhelfen, indem sie undeutsche Imbisse abfackeln und zerlegen. In den vergangenen vier Jahren hat es allein in Brandenburg 63 solcher »Übergriffe« gegeben, davon 32 Brandanschläge. (www.opferperspektive.de)

Nun frage ich mich schon eine Weile, warum die Gemeinheiten der Amerikaner auf Guantanamo in Deutschland mehr Aufmerksamkeit und Empörung hervorrufen als die Umtriebe der Glatzen vor allem in den neuen Ländern, wo man als erkennbarer Ausländer gut daran tut, nach Anbruch der Dunkelheit nicht auf die Straße zu gehen. Ich frage mich, warum die Angehörigen der Friedensbewegung (»Kein Blut für Öl«), die ihre Autos mit Rapsöl betreiben und ihre Wohnungen mit Kuhdung heizen, sich nicht vor Ausländerheimen und Imbiss-Ständen postieren, um Überfälle zu verhindern bzw. den Überfallenen beizustehen. Und warum die Humanisten von amnesty international, die sich große Sorgen um ein faires Verfahren gegen Saddam Hussein machen, immer in die Ferne schweifen müssen, wo doch das Böse vor der eigenen Tür nur darauf wartet, angeklagt zu werden.

Hier kommt die Antwort. Es ist ein Notenwechsel mit einem Fachmann für vergleichenden Fundamentalismus, der bei amnesty international für das Unterhaltungsprogramm zuständig ist:

Sehr geehrter Herr Broder,

Glauben Sie wirklich, dass Ihr inflationär und willkürlich verwendeter Antisemitismusvorwurf dazu beiträgt, real existierenden Antisemitismus zu bekämpfen? Ist nicht möglicherweise genau das Gegenteil der Fall. Verhält es sich mit dem neuerdings ständig und überall entlarvten Antisemitismus nicht vielleicht so, wie der israelische Politikwissenschaftler und Diplomat Professor Avi Primor es formulierte:

»Wer aber ‘Antisemitismus’ schreit, wo es diesen nicht gibt, gerät in die gleiche Gefahr wie ein Kind, das dauernd ‘Feuer’ brüllt, obwohl es nicht brennt.«

Ihre unkritische, einseitige Parteinahme für die Staaten Israel und USA - auch dann, wenn deren Politik eindeutig menschenrechtswidrig ist, Ihre Diffamierung jeder berechtigten und notwendigen Kritik an dieser Politik sind völlig absurd.

Sollte die Lehre aus den Gräueln der Nazizeit etwa darin bestehen, dass israelische und US-amerikanische Politik generell nicht kritisiert werden darf?

Mir scheint folgende Schlussfolgerung erheblich sinnvoller und konstruktiver: Alle Menschen haben gleiche Rechte - alle staatliche Gewalt darf (und sollte) gleichermaßen kritisiert werden, wenn sie diese Rechte missachtet.

Das ist auch das Prinzip der von Ihnen offensichtlich nicht sehr geschätzten Menschenrechtsorganisation amnesty international. Als Mitglied dieser Organisation kann ich Ihnen nur empfehlen, sich mit deren Prinzipien und Methoden etwas besser vertraut zu machen, bevor sie Polemiken schreiben, die vor allem eins zeigen: Ihre völlige Unkenntnis.

Was Ihre Begeisterung für den sog. »Krieg gegen den Terrorismus« angeht: Glauben Sie, religiöser Fanatismus und Fundamentalismus können dadurch wirksam bekämpft werden, dass ein Fundamentalismus (christlich-amerikanisch) gegen den anderen (islamistisch) Krieg führt?

Ein Krieg, in dem die US-Administration weder Menschenrechte noch völkerrechtliche Verträge beachtet und im eigenen Land genau die Freiheiten abbaut, die sie angeblich schützen will.

Mit freundlichen Grüßen

M. W.

Ich bin erschüttert. Gerade auf die Ansicht eines ai-Aktivisten, der täglich gegen das Unrecht in Tschetschenien, im Iran und im Sudan demonstriert, kam es mir besonders an!

Das dachte ich mir. Deshalb habe ich Ihnen ja auch geschrieben. Ich bin immer froh, wenn ich dazu beitragen kann, tief sitzende Vorurteile aufzubrechen und etwas Licht ins Dunkel zu bringen. Wie Sie ganz richtig vermuten, beschäftige ich mich im Rahmen meiner ai-Arbeit nicht ausschließlich oder auch nur vorrangig mit Menschenrechtsverstößen durch USA und Israel, sondern unsere Arbeit bezieht sich auf sehr viele Länder: z. B. Russland, Mazedonien, Rumänien, Peru, China, Saudi Arabien, um nur einige zu nennen…

Warum ist es aber trotzdem unbedingt notwendig, sich auch immer wieder mit den USA kritisch auseinander zu setzen?

Zum einen, weil die USA nun einmal die einzige Supermacht sind und mit einem weitreichenden internationalen politischen Gestaltungsanspruch auftreten.

Zum anderen, weil wir Europäer uns ja angeblich mit den USA in einer Wertegemeinschaft befinden.

Da scheint es mir legitim und sogar geboten, kritisch darauf hinzuweisen, wenn die US-Administration diese Werte im eigenen Land und auch international missachtet, zumal die Verbreitung von Freiheit, Demokratie und Menschenrechten gern als Legitimation für gewaltsame Übergriffe herhalten müssen.

Ich kann in einer solchen Kritik keinen Antiamerikanismus erkennen.

Und ich gehe davon aus, dass die meisten Kritiker der US-Politik ähnlich motiviert sind.

Es geht dabei ja keineswegs, wie Sie gern pauschal unterstellen, um eine Auseinandersetzung der Deutschen gegen die Amerikaner, sondern um eine Auseinandersetzung zwischen Menschen, die sich den Werten der Aufklärung, des Humanismus und der Menschenrechte verpflichtet fühlen, und Vertretern eines christlichen Fundamentalismus, die archaischen Vorstellungen von einem rachsüchtigen, grausamen und gewalttätigen Gott anhängen und deren Politik entsprechend aussieht.

Ich weiß, dass es in den USA sehr viele Menschen von aufgeklärt humanistischer Gesinnung gibt.

Mit diesen fühle ich mich solidarisch, mit einigen arbeite ich zusammen.

M.W.

Ich bin beruhigt. Es sind vermutlich ihre Freunde von ai und die Wähler von Ralph Nader.

Die mit Sicherheit.

Aber ich würde durchaus auch einige John-Kerry-Wähler dazu zählen.

Als ich während der Wahlberichterstattung zur letzten US-Wahl Zeuge davon werden durfte, wie Sie sich vom Bush-Sympathisanten zum Kerry-Anhänger weiterentwickelten, dachte ich fast, Sie ebenfalls dazu rechnen zu dürfen.

Man hätte annehmen können, dass Sie GWB als Garant von Freiheit und Demokratie bei näherer Betrachtung doch nicht so recht überzeugt hat.

Aber - wenn das so ist - was wird dann mit der schönen Polemik: Proteste gegen GWB in Deutschland = Antiamerikanismus = Antisemitismus?

M.W.

Nur noch eine Frage, Kamerad Großmaul: Kümmern Sie sich mit der gleichen Energie um die bedrohten Menschenrechte in Brandenburg?

In der Regel arbeitet ai nicht zum eigenen Land. Aber sollte Brandenburg die Todesstrafe wieder einführen, oder ein Foltergefängnis für willkürlich verhaftete Feinde Brandenburgs einrichten oder vielleicht einen Befreiungskrieg zur Verbreitung brandenburgerischer Werte und Lebensart vorbereiten, werde ich natürlich aufs Schärfste dagegen protestieren.

M.W.

Jetzt kann ich wieder ruhig schlafen!

15.3.2005

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