Sie haben das Recht zu schweigen. Henryk M. Broders Sparring-Arena

Henryk M. Broder

24.06.2004   13:04   +Feedback

Mehr Mut, Freimut!

Das Letzte

Ein schönes Beispiel für deutsche Besserwisserei gegenüber der Welt und deutsche Ratlosigkeit in eigenen Angelegenheiten, also die Mischung aus Größenwahn und Impotenz, lieferte die SZ am 19. Juni.

Auf Seite 2 räsonnierte Freimut Duve über »Die gezielte Vertreibung der Palästinenser« durch die Israelis, die »unter dem Vorwand der ’Sicherheitspolitik‘« arabische Dörfer zerstören und die arabischen Einwohner drangsalieren. »Der Frieden im Nahen Osten«, schreibt Duve, »geht uns aus vielen Gründen etwas an«, deswegen »müssen wir aufpassen«, was Sharon und die Israelis so treiben. Und da geht Duve mit gutem Beispiel voran. Bis jetzt hat er immer nur eine Riesenwelle damit angegeben, dass er mit Theodor Herzl befreundet, nein: verwandt wäre, und das in einer ziemlich geraden Linie.

Jetzt will er den Zionismus vor sich selber retten. »Der Friede im Nahen Osten und die Zukunft Israels haben nur eine Chance, wenn auch der israelische Staat und seine Bürger auf Verhalten verzichten, das den Terror noch befördert…« Eine tolle Idee, die der ehemalige Medienbeauftragte der OSZE mutig ausspricht. Als Erstes sollten die Israelis darauf verzichten, sich gegen den Terror zur Wehr zu setzen, damit das Geld, mit dem die EU Arafats Selbstmordkommandos finanziert, nicht wirkungslos verpufft. Dann sollte Israel dem deutschen Beispiel folgen und »die Mauer« abreißen, damit die Bewegungsfreiheit der Palästinenser nicht eingeschränkt wird. Und als ultimative Good-Will-Geste sollte Israel spezielle Grenzübergänge für Selbstmordattentäter einrichten, sie herzlich begrüßen und an ihre Einsatzorte geleiten. Dann wäre das »künftige friedliche Miteinander«, das Duve und anderen Deutschen so am Herzen liegt, garantiert.

Auf Seite 14 derselben Ausgabe lesen wir dann ein Interview mit dem Leiter des »Institute of African Studies«, Mahmoud Mamdani, über »Die Wurzeln des Terrors«. Die liegen in der amerikanischen Politik gegenüber Vietnam, Angola, Mosambik und Südafrika, Mittelamerika und Afghanistan, dem Nahen Osten und der Sowjetunion, also fast der ganzen Welt. Das alles ist hochinteressant und sehr aufschlussreich und es erklärt vor allem, warum Osama Bin Laden Terrorist wurde, warum die Al Kaida massenhaft Moslems mordet und warum ein Koreaner geköpft werden musste. Weil es mal eine »Allianz zwischen dem amerikanischen Projekt des Kalten Krieges und dem extremistischen politischen Islam« gab. Was dieses Interview perfekt abrunden würde, wäre ein Kommentar von Freimut Duve über den Zusammenhang von Terror und Tiramisu, auch da müsste es eine Verbindung geben.

Haben wir aus den Beiträgen auf Seite 2 und Seite 14 gelernt, dass die Terroristen zwar nicht das Recht aber immer objektive Gründe für ihr Handeln haben, so lässt uns ein Beitrag auf Seite 8 ratlos zurück. Da geht es nicht um die Wurzeln des Terrors und nicht um den Frieden im Nahen Osten, sondern um ein kleines Problem vor der gesamtdeutschen Haustür, den »Wahlerfolg der Radikalen in der Sächsischen Schweiz«, wo die Republikaner und die NPD in einzelnen Wahlkreisen bis zu 25% der Stimmen bekamen. Wie konnte das passieren? Kein Mensch weiß es, auch der Autor des Beitrags nicht. Deswegen heißt seine Geschichte »Rechter Spuk im Märchenland« und das klingt so wie die alte Filmkomödie »Spukschloss im Spessart«.

Auch in diesem Fall warten wir auf ein klärendes Wort von Freimut Duve, der vor seiner nächsten Reise in den Nahen Osten einen Abstecher in die Sächsische Schweiz machen könnte, um zu ergründen, was viele Sachsen so traurig, so wütend und so ratlos macht, dass sie gar nicht anders können, als die NPD zu wählen. Im Lösen von Konflikten in der großen weiten Welt sind wir Weltmeister, seit wir die Hereros in die Wüste gejagt und die Boxer in China k.o. geprügelt haben. Jetzt »müssen wir aufpassen«, dass die Juden nicht wieder rückfällig werden. Nur beim Aufräumen im eigenen Haus wollen wir uns die Finger nicht schmutzig machen. Mehr Mut, Freimut!

HMB, Bln, 24.6.2oo4

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