Sie haben das Recht zu schweigen. Henryk M. Broders Sparring-Arena

Henryk M. Broder

19.03.2005   12:02   +Feedback

Ivo Bozic: Soli für den Heiligen Krieg

Wie linke Antiimperialisten in Deutschland das tägliche Morden im Irak unterstützen. Bei einer Soli-Konferenz für den so genannten irakischen »Widerstand« in Berlin versammelt sich ein rotbraunes Bündnis rund um die Tageszeitung »Junge Welt«.

In der nationalbolschewistischen Tageszeitung »Junge Welt« erzählt im Januar 2004 ein irakischer Student eine rührende Geschichte vom Krieg: wie ihn die Saddam-Fedajin um Hilfe riefen, wie er 17 US-Panzer abschoss und über seine Trauer, als Saddam Hussein verhaftet wurde. Man kann den Glanz in den Augen erahnen, sowohl beim Interviewten als auch beim Interviewer, dem stellvertretenden Chefredakteur der »Jungen Welt«, Rüdiger Göbel. Er gibt die Stichworte für den Monolog seines Helden.

Die Saddam-Fedajin - das sind jene Elite-Soldaten, die für die Folterpraxis in Saddams Regime verantwortlich waren, und die heute als »Widerstandskämpfer« getöteten US-Soldaten die Köpfe abschneiden. Doch dazu steht kein kritisches Wort in der »Jungen Welt«. Im Gegenteil: Seit dem Beginn des Irakkrieges vor zwei Jahren lässt das Querfrontblatt den »irakischen Widerstand« als antiimperialistischen, nationalen Befreiungskampf hoch leben. Dass vor allem Saddam-Getreue und Islamisten den Terror organisieren, und dass auch al-Qaida-Leute im Irak aktiv sind, stört dabei niemanden. Jetzt beteiligt sich die »Junge Welt« sogar ganz offiziell an der »Irak-Konferenz«, die am 12. März ausgerechnet im Interreligiösen Zentrum Jerusalem, direkt gegenüber des Jüdischen Museums in Berlin-Mitte, stattfindet.

»Unterstützt den irakischen Widerstand«, fordert die Antiimperialistische Koordination (AIK) aus Wien auf einem aktuellen Flugblatt, mit dem sie zu Aktionen am 19. März, dem zweiten Jahrestag des Kriegsbeginns, aufruft. Auch die erwähnte »Internationale Irak-Konferenz« in Berlin wird von jener AIK mit organisiert. Es handelt sich um eine antizionistische Truppe, die offen die Existenz Israels ablehnt: »Jede Lösung des Konflikts, die auf die Aufteilung des Landes beruht, ist nicht nur illegitim, sondern auch zum Scheitern verurteilt.« (Anders gesagt: Israel soll verschwinden). Die AIK hat die Spendenkampagne »10 Euro für den irakischen Widerstand« initiiert. Und ihr Sprecher Wilhelm Langthaler ist zusammen mit »Junge Welt«-Mann Werner Pirker Autor eines Buches mit dem bezeichnenden Titel »Ami go home. Zwölf gute Gründe für einen Antiamerikanismus«.

Während dessen im Irak: Auch hier sind wie im letzten Jahr, die Terroristen vor dem Jahrestag besonders aktiv. Der Bombenanschlag in Hilla in der letzten Woche, der 125 Menschen, allesamt Iraker, aus dem Leben riss und über 130 verletzte, war nicht nur die brutalste Terroraktion seit Kriegsende, sondern auch der Auftakt für eine Reihe weiterer mörderischer Angriffe in den letzten Tagen. »Widerstand gegen die Besatzung« nennen das die Antiimps. Und »legitim« sei er, weil vom Völkerrecht gedeckt. Dass sich die größten Verbrecher auf das Recht beziehen, ist nichts Neues. Aber in welchen moralischen Abgründen muss man gelandet sein, um beim Anblick zerfetzter Körper politische Erfolgsgefühle zu entwickeln?! Zu dem Massaker in Hilla kommentierte die »Junge Welt« übrigens: »Wer auch immer für den Anschlag verantwortlich ist, er hat nicht nur zukünftige Kollaborateure getroffen: Unter den Opfern sollen auch viele Frauen und Kinder sein, die sich auf einem Markt in der Nähe des Anschlagsortes aufhielten.« Ui, da hat es neben richtigen, offenbar auch falsche Opfer gegeben - dürfen wir das so verstehen?

Um zu beraten, wie man diesen ach so legitimen »Widerstand« weiter unterstützen kann, wird sich am Wochenende in Berlin ein Bündnis von deutschen Linken und arabischen Nationalisten versammeln. Zu den Veranstaltern gehören neben der Tageszeitung »Junge Welt« und der AIK unter anderem der Deutsche Freidenkerverband (sic!), Linksruck, die Attac-AG Globalisierung und Krieg, die DKP Berlin, die KPD, das Arabische Kulturforum Berlin, der Deutsche Friedensrat und vor allem das pro-ba’athistische Solidaritätskomitee Freier Irak. Dessen Sprecher ist - neben dem »Chefpropagandisten des Saddam-Regimes in Deutschland« (Pro Asyl) Dr. Aziz Alkazaz - Klaus von Raussendorff, ein ehemaliger Top-Spion der Stasi, Deckname »Brede«. Er hat 30 Jahre im Auftrag des MfS Karriere als bundesdeutscher Diplomat gemacht. Heute ist er nicht nur Herausgeber der »Antiimperialistischen Korrespondenz«, sondern, zusammen mit anderen ehemaligen »Aufklärern für den Frieden«, also Stasi-Auslandsagenten, bei so ziemlich jedem antiisraelischen oder antiimperialistischen Soli-Schmarrn dabei. Ob es für Slobodan Milosevic oder gegen den israelischen Sicherheitszaun geht - von Raussendorff darf nicht fehlen. Erst am 8. März 2005 schrieb er in der »Jungen Welt«: »Der irakische bewaffnete Widerstand besteht angeblich aus ‘Saddam-Anhängern’, ‘islamischen Fanatikern’ und ‘ausländischen Terroristen’. Dass auch Teile der Antikriegsbewegung in diese Falle gegangen sind und dem irakischen Widerstand die Anerkennung als fortschrittlicher Faktor der Weltpolitik verweigert haben, ist bedauerlich.«

Obwohl die Gruppen, die zur Irak-Konferenz laden, allesamt ihre Solidarität mit dem »Widerstand« eint, hat die blutige Realität im Irak dazu geführt, dass selbst eingefleischte Antiimperialisten nicht mehr geschlossen hinter dieser Unterstützung stehen. Zuerst hatte sich die DKP zu ihrer Schwesterpartei, der irakischen KP, bekannt, die den Terror entschieden ablehnt und Teil des Regierungsrates ist. Das hatte zu schweren Verwerfungen innerhalb der DKP geführt. Auf dem letzten Parteitag konnte sich am 13. Februar der Vorstand mit seiner Linie durchsetzen. Allerdings mussten sich DKP-Chef Heinz Stehr und seine Stellvertreter bei der Vorstandswahl mit deutlich weniger Stimmen zufrieden geben. Anträge, den »Widerstand« zu unterstützen, wurden abgelehnt.

Zu einem weiteren Konflikt kam es bei einem der Vorbereitungstreffen zur Irak-Konferenz, das im Januar in den Räumen der »Jungen Welt« stattfand. Vertreter des scharf antiimperialistischen, aus stalinistischen K-Grüppeleien hervorgegangenen »Verlag Neue Einheit« stellten dabei den emanzipatorischen Charakter der irakischen »Widerstandskräfte« in Frage. Speziell das Gerede der Irakischen Patriotischen Allianz (IPA), (die die internationale Solidarität organisiert und an die das Geld der 10-Euro-Kampagne fließen soll), von einer »zionistischen Okkupation« und die Verteidigung der antisemitischen Hamas bei dem Vorbereitungstreffen selbst, wurden von der Gruppe erstaunlich deutlich kritisiert. »Sollen ultrarechte und Nazi-Thesen im Raum stehen bleiben?«, fragten ihre Vertreter und sahen sich daraufhin heftiger Anwürfe ausgesetzt. Auch ihr Vorschlag, sich von der »reaktionären Rolle des politischen Islam« zu distanzieren, wurde entschieden abgelehnt.

Dabei hat sogar die AIK gemerkt, dass ihre offene Sympathie und Unterstützung für den Terrorismus selbst bei eingefleischten Revoluzzern zuweilen ein gewisses Erschrecken vor dem Ausmaß der Gewalt auslöst, angesichts der Bilder von willkürlich ermordeten Irakis und enthaupteten Geiseln. Spätestens seitdem das NDR-Magazin »Panorama« Ende Januar 2005 ein Video ausstrahlte, auf dem Attentäter berichten, dass sie ihr blutiges Handwerk nicht etwa aus antiimperialistischer oder islamistischer Gesinnung betreiben, sondern weil sie dafür - aus verborgenen Schatullen des alten Saddam-Regimes - bezahlt werden, rückte auch die 10-Euro-Spendenkampagne wieder in ein schlechtes Licht. Die AIK sah sich daraufhin genötigt, zu erklären, von dem Geld habe man zwei Tonnen Medikamente in den Irak gebracht. Dass die AIK nun den Opfern des von ihnen unterstützten Terrors medizinische Hilfe zukommen lassen will, hat schon eine geradezu perverse Logik. Dabei stammt das Geld für die Medikamente in Wirklichkeit von der Irakischen Gemeinde Österreichs. Nur die Transportkosten in Höhe von 1.870 Euro kommen aus der AIK-Kriegskasse.

Dass es den Teilnehmern der Konferenz nicht nur um ideelle Unterstützung geht, und dass auch der bewaffnete Kampf ihre volle Unterstützung findet, haben fast alle in der Vergangenheit schon zum Ausdruck gebracht. Podiumsgast Awni al-Kalemji, Sprecher der IPA, etwa, erklärte: »Wenn man die Besatzer schlagen will, gibt es nur einen Weg: einen Guerilla-Krieg, bewaffneten Kampf.« Dabei handele es sich um einen »heiligen Krieg gegen die zionistisch-imperialistische Koalition«.

An der Konferenz teilnehmen will auch Scheich Jawad al-Khalisi, der erklärt hat: »Der bewaffnete Widerstand ist etwas völlig normales und auch nach internationalem Recht völlig legitim. Oder war etwa die französische Résistance gegen die Nazi-Besatzung nicht legitim? Jedes Volk hat das Recht, gegen Fremdherrschaft bewaffnet aufzustehen.« Denselben revisionistischen Vergleich hat auch Werner Pirker in der »Jungen Welt« geäußert. Der irakische »Widerstand« sei, so Pirker, »nicht mehr und nicht weniger terroristisch als es die französische Résistance war«. Konferenz-Organisator Joachim Guillard vom Antikriegsforum Heidelberg hat ebenfalls öffentlich erklärt: “Widerstand, auch militärische Aktionen gegen die Besatzer, ist selbstverständlich legitim. Das hat mit Terrorismus im engeren Sinne nichts zu tun.”

Diese sauberen Friedensfreunde wollen nun also am 12. März in Berlin ihr weiteres Vorgehen besprechen. Um Frieden wird es dabei nicht gehen, denn das Interesse der Antiimperialisten ist nicht Frieden, sondern die Verhinderung jeder Stabilität und damit eines Friedens im Irak. Letztlich geht es bei der Unterstützung des »Widerstands« um nichts anderes, als um die Unterstützung des Terrors. Dass sich Linke und Friedensbewegte so widerspruchslos mit »nationalen Befreiungskämpfen« solidarisieren, ohne auch nur den geringsten emanzipatorischen Hintergrund, und sogar dann, wenn bekannt ist, dass al-Qaida-Mörder unter den »Widerstandskräften« agieren, zeigt den erbärmlichen Zustand der traditionellen Mainstream-Linken weltweit.

Im Irak kämpft keine linke Guerilla gegen einen US-gestützten faschistoiden Diktator, wie wir es aus der Geschichte diverser lateinamerikanischer Länder kennen. Sondern hier kämpfen die Anhänger eines gestürzten faschistoiden, früher von den USA unterstützten Diktators für nichts als für ihre nationale Souveränität. Schon allein deshalb verbieten sich auch alle Gleichsetzungen des irakischen »Widerstandes« mit der antifaschistischen Résistance gegen deutsche Nazi-Besatzer. Wer - wie der Scheich und Pirker - so argumentiert, lügt Antifaschismus zu einem Kampf um nationale Selbstbestimmung um.

Genau um letzteres geht es auch heutigen Neonazis. Und so verwundert es nicht, dass dieselben Akteure, die wie die »Junge Welt« und die AIK den ba’athistischen Terror schön reden, im Einklang mit der NPD (und Le Pen) auch zur Unterstützung der rechtsextremen serbischen Seselj-Partei aufrufen. »Rot-braune Bündnisse« sind für Pirker etwa »nicht das Problem«. Hauptsache der Feind USA/Israel und der Liberalismus werden bekämpft. So führt die Kampagne für den irakischen »Widerstand« direkt in eine Querfront mit Neonazis, die ja schon immer Saddam-Fans waren. Sollte eines Tages Nordkorea Gegenstand einer militärischen Auseinandersetzung sein, werden wir dieselben rotbraunen Bündnisse wieder erleben. Es sei denn, bis dahin haben sich die betreffenden Organe und Gruppen schon zusammengeschlossen.

Es ist schon erstaunlich, mit welcher Gelassenheit die linken Terrorfreunde ihre Positionen vertreten, immer mit dem Verweis auf die angebliche Legitimität. Die wird ihnen aber auch nicht abgesprochen. Ungestraft dürfen in der »Jungen Welt« alle möglichen schrägen Vögel dazu aufrufen, den blutigen »Widerstand« zu unterstützen, und auch die Konferenz am 12. März stößt auf keinerlei politische Hindernisse. Es soll hier nicht nach dem Staat oder der Polizei gerufen werden. Doch die Frage wird erlaubt sein, wieso das Treiben dieser Politbanditen auf so wenig Gegnerschaft stößt. Zwei mögliche Gründe:

  1. Die volksgemeinschaftliche Ablehnung des Irakkrieges - von ganz Links über die Mitte, die Bundesregierung, die Kirchen, bis nach ganz Rechts - hat das gestürzte faschistoide Saddam-Regime einen Opfer-Status verliehen.
  2. Der ebenso volksgemeinschaftliche Antiamerikanismus will nur einen Bösen sehen: Nämlich den Besatzer USA, »der uns ja auch schon mal besetzt hat!«

Unabhängig davon stellt sich auch die Frage, wo die Antifa steckt? Wieso die Linke nicht versucht, diesem Querfrontprojekt entgegen zu wirken, warum Linke nach wie vor für ein rotbraunes Blatt wie die »Junge Welt« schreiben, warum so viele es lesen, warum sich diese Bellizisten als Teil der »Friedensbewegung« oder gar als »Freidenker« bezeichnen dürfen. Es sind vermutlich dieselben beiden eben genannten Gründe, und die Tatsache, dass diese deutsche Linke längst Teil der Volksgemeinschaft und der nationalen Identität ist.

Ivo Bozic ist Redakteur der linken Wochenzeitung Jungle World und war immer gegen den Irak-Krieg


Weitere Hintergründe:

  1. 10 Euro für den Terror
  2. Die Deutsche Ba’ath-Partei
  3. Streit bei der DKP

19.3.2005

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