Sie haben das Recht zu schweigen. Henryk M. Broders Sparring-Arena

Henryk M. Broder

28.06.2006   13:03   +Feedback

Der Schmock der Woche

“Es ist vergeblich…”

Der Schmock der Woche geht an einen reizenden, gebildeten, alten Herrn

Kennen Sie den? Mosche und Schlomo kommen im KZ an, müde von der langen Zugfahrt, hungrig und verzweifelt. Mosche sagt: “Schlomo, frag doch mal den SS-Mann da vorne, was die mit uns vorhaben.” Worauf Schlomo sagt: “Nur nicht provozieren, Mosche, der Deutsche könnte böse werden.”

Schon immer haben sich die Juden bemüht, die Antisemiten nicht zu provozieren. Vor allem die deutschen Juden waren gute Patrioten, meldeten sich freiwillig zur Front und waren stolz auf ihre Ritterkreuze. Was es genutzt hat, ist bekannt.

Heute soll einer mit dem Schmock der Woche geehrt werden, der immer noch glaubt, “nur nicht provozieren” wäre die richtige Parole. Dabei ist er kein wirklicher Schmock, sondern ein reizender, gebildeter, kultivierter alter Herr, den man in Berlin auf jedem wichtigen Empfang zwischen Bundeskanzleramt und Nationalgalerie treffen kann: Heinz Berggruen. 1914 in Berlin geboren, emigrierte 1936 in die USA und eröffnete nach dem Krieg in Paris eine Kunstgalerie, die er zu einem Zentrum moderner Kunst ausbaute. 1996 verlegte er die “Sammlung Berggruen” nach Berlin, 85 Picassos, 5o Klees, dazu Gemälde von Cezanne, Matisse, Braque und van Gogh. Berggruen bekam vom Bund und vom Land Berlin ordentlich viel Geld, aber wie viel es auch war, es war viel weniger als er in den USA bekommen hätte. Und deswegen wird er in der Berliner Kunst-Szene geliebt und hofiert.

Nun wurde Heinz Berggruen vor kurzem im Foyer seiner Sammlung von einem “Herrn mittleren Alters” gefragt: “Was sagen Sie zu Michel Friedman?”

Der einzige Grund, warum Berggruen gefragt wurde, war: Er ist Jude und Friedman ist es auch. Berggruen hätte zurück fragen können: “Und was sagen Sie zu Stefan Raab oder Bodo Hauser und Ulrich Kienzle?” Weil er aber vermutlich nicht fernsieht oder nur arte nach Mitternacht, gab er eine Antwort, die er dazu noch in der FAZ veröffentlichte:

Friedman sollte sich diskreter verhalten. Statt mit zynischen und oft hämischen Bemerkungen [...] seine Gegner immer wieder vor den Kopf zu stoßen, sollte er sich mehr Zurückhaltung auferlegen. Er tut weder den jüdischen Menschen in Deutschland noch den aufgeschlossenen Liberalen und sozial Denkenden einen Gefallen, wenn er immer wieder, und mit allerlei Hochmut, andere maßregeln will, die er für seine Feinde hält.

Da möchten wir doch gerne wissen, warum Heinz Berggruen 1936 Deutschland verlassen musste. Ein so reizender, kultivierter, gebildeter Mann. War er in seinen jungen Jahren ein Heißsporn, der seine Gegner mit zynischen und hämischen Bemerkungen vor den Kopf stieß? Zeigte er nicht genug Zurückhaltung? Und dafür umso mehr Hochmut? Das ist jetzt 66 Jahre her, eine lange Zeit. Inzwischen wissen wir, dass jüdische “Zurückhaltung” auf Antisemiten so wirkt wie Aspirin auf einen Amokläufer. “Nur nicht provozieren” ist als Vorsichtsmaßnahme so sinnvoll wie “Im Parkverbot nicht rauchen”.

Berggruen freilich beruft sich auf Jakob Wassermann und sein Buch “Mein Weg als Deutscher und Jude” (1921 erschienen) und schreibt:

Damit die jüdische Frage nicht zu einem ‘Brandherd’ werde, wie Wassermann seinerzeit ahnungsvoll schrieb, verlangt die Lebensweisheit, wie sie beispielhaft ein Ignatz Bubis personifizierte, dass man sich mit dem Problem, mit dem weder ein Walser noch ein Möllemann umzugehen weiß, sehr viel vorsichtiger befasse, als es Michel Friedman immer wieder tut, ziemlich selbstgefällig obendrein.

Da hat Berggruen nicht nur eine seltsame Erinnerung an Bubis, der erst seit seinem Ableben als jüdische Lichtgestalt gilt, während er vorher von Walser und Konsorten beschimpft wurde, ohne dass irgendwer dagegen protestierte, er hat auch Wassermann entweder nicht gelesen oder nicht verstanden. Wassermann spricht tatsächlich von einem “Brandherd”, aber nicht “ahnungsvoll”, sondern als akuten Zustand: “Heute ist es ein Brandherd”. Und er beklagt die “Aussichtslosigkeit der Bemühung”, bei der “die Bitterkeit in der Brust zum tödlichen Krampf” wird. An keiner Stelle empfiehlt Wassermann “Zurückhaltung” oder vorsichtiges Auftreten. Hier die zentrale Passage aus Wassermanns Buch:

Es ist vergeblich, das Volk der Dichter und Denker im Namen seiner Dichter und Denker zu beschwören. Jedes Vorurteil, das man abgetan glaubt, bringt, wie Aas die Würmer, tausend neue zutage.

Es ist vergeblich, die rechte Wange hinzuhalten, wenn die linke geschlagen worden ist. Es macht sie nicht im mindesten bedenklich, es rührt sie nicht, es entwaffnet sie nicht.: Sie schlagen auch die rechte.

Es ist vergeblich, in das tobsüchtige Geschrei Worte der Vernunft zu werfen. Sie sagen: was, er wagt es aufzumucken? Stopft ihm das Maul.

Es ist vergeblich, beispielschaffend zu wirken. Sie sagen: wir wissen nichts, wir haben nichts gesehen, wir haben nichts gehört.

Es ist vergeblich, die Verborgenheit zu suchen. Sie sagen: der Feigling, er verkriecht sich, sein schlechtes Gewissen treibt ihn dazu.

Es ist vergeblich, unter sie zu gehen und ihnen die Hand zu bieten. Sie sagen: was nimmt er sich heraus mit seiner jüdischen Aufdringlichkeit?

Es ist vergeblich, ihnen Treue zu halten, sei es als Mitkämpfer, sei es als Mitbürger. Sie sagen: er ist der Proteus, er kann eben alles.

Es ist vergeblich, ihnen zu helfen, Sklavenketten von den Gliedern zu streifen. Sie sagen: er wird seinen Profit schon dabei gemacht haben.

Es ist vergeblich, das Gift zu entgiften. Sie brauen frisches.

Es ist vergeblich, für sie zu leben und zu sterben. Sie sagen: er ist ein Jude.

Alles, was man über das deutsch-jüdische Verhältnis wissen muss, steht in diesen Zeilen. 1921 war Wassermann ein erfolgreicher und anerkannter Schriftsteller, Heinz Berggruen gerade sieben Jahre alt, die NSDAP 12 Jahre von der Machtergreifung entfernt und Auschwitz eine Kleinstadt namens Oswiecim an der Strecke Ratibor-Krakau mit einem Gleisanschluß. Es war alles in bester Ordnung. Heute gibt es wieder eine “jüdische Frage”, die sich daran entzündet hat, dass ein Jude zynisch und hämisch ist, und es gibt Juden, die für Vorsicht und Zurückhaltung plädieren, damit aus der Frage kein Brandherd wird. Nur nicht provozieren eben, der Deutsche könnte böse werden. Man kann aus Erfahrung auch dumm werden.

Und deswegen geht der Schmock der Woche an einen ansonsten reizenden, gebildeten und kultivierten Herrn: Heinz Berggruen.

HMB, Bln, 28.6.2oo6

Permanenter Link

Uncategorized