Sie haben das Recht zu schweigen. Henryk M. Broders Sparring-Arena

Henryk M. Broder

14.05.2008   13:05   +Feedback

Tagebuch Los Angeles 2004, Teil II: Striptease-Museum

Leben auf dem G-String

120 Meilen nordöstlich von Los Angeles am Rande der Mojawe-Wüste steht die »Hall of Fame« des Striptease, das »Exotic World Burlesque Museum«. Gegründet wurde es von einer ehemaligen Stripperin, Dixie Evans, die ein Stück amerikanischer Geschichte retten und bewahren wollte.

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Tempest Storm: Keine zog sich so elegant und so auf- regend auf der Bühne aus wie sie
Foto: Henryk M. Broder

Von wegen: »It never rains in Southern California!« Es regnet nicht, es kübelt vom Himmel. Die Straßen sind überflutet, die Stromversorgung bricht zusammen und die Dächer knicken ein. Auch Helendale, 120 Meilen nordöstlich von Los Angeles, steht unter Wasser.

Die Kleinstadt mit 5000 Einwohnern ist ein No Name auf der Landkarte, obwohl der Ort an der berühmten Route 66 liegt. Alles, was man über Helendale wissen muss, ist: Es gibt einen Supermarkt, eine Pizzeria und einen Mexikaner, alle Lokalitäten schließen um 20 Uhr, wer danach noch etwas kaufen oder essen möchte, muss in das 15 Meilen entfernte Victorville fahren.

Dabei hat Helendale eine Sensation anzubieten. Das Exotic World Burlesque Museum, die Hall of Fame der Stripperinnen, Tänzerinnen und Göttinnen der Erotik, deren große Zeit in den sechziger und siebziger Jahren zu Ende ging, als zuerst das Fernsehen und dann die Video-Kassette aus echten Männern lahme Couch Potatoes machte. Es war die Zeit von Stars wie Patti Starr, Rita Atlanta, Fräulein von Manuela, Linda Doll, Candy Barr, Evelyn West, Sonia Tokyo, Lili St. Cyr und Sally Rand, die mehr konnten, als sich nur zur Musik ausziehen. Zum Beispiel jede Brust einzeln im oder gegen den Uhrzeigersinn kreisen zu lassen und andere Stars perfekt nachzumachen.

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Dixie Evans und das Exotic World Burlesque Museum: Marilyn Monroe der Burlesque
Foto: Henryk M. Broder

»Ich war die Marilyn Monroe der Burlesque «, sagt Dixie Evans, »wir beide sind gleich alt und wir kommen beide aus Hollywood.« Burlesque war eine Varietee-Schau, eine Mischung aus zotiger Komödie, Tanz und Striptease, Burlesque war »Unterhaltung für die Arbeiterklasse, für Menschen ohne Jobs, ohne Geld und ohne Hoffnung«, eine Möglichkeit, den Alltag zu vergessen und sich »über die Reichen lustig zu machen«. Jede größere Stadt hatte zwei, drei Burlesque-Theater, die wie Wundertüten funktionierten. »Die Leute wussten nie, was sie erwartete, bis der Vorhang aufging.«

»Ich war glücklich, ich war im Showbusiness«

Dixie Evans, 1926 in Long Beach/California als Mary Lee Evans geboren, war gerade 17, als sie die Schule verließ und als »Fräulein vom Amt« für die Bell Telephone Company in Los Angeles zu arbeiten anfing. Damals wurden die Gespräche noch handvermittelt, und so hatte sie öfter auch Stars in der Leitung. Weil sie gut aussah und nicht genug verdiente, posierte sie als Pin-up-Girl für Magazine und ließ sich von ihrer Agentur auf »field trips« schicken. Da fuhren dann sechs Mädchen und 20 Amateure (»Meet the Starlets«) auf eine Ranch, und es wurde wie wild fotografiert, mehr nicht. »Es gab kein hanky panky«, versichert Dixie, »alles war nett und sauber.« Sie verdiente 75 Dollar am Tag, damals viel Geld. Ihrer Mutter erzählte sie, sie würde für den »Sears«-Katalog Aufnahmen machen. »Sie war sehr religiös, fast schon fanatisch.«

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Exotic World Bur- lesque Museum: Rie- siger Fundus mit allem, was eine Strip- perin zum Auftreten und Ausziehen braucht
Foto: Henryk M. Broder

Ende der vierziger Jahre trat sie in einem Zirkus als Harem-Tänzerin und Assistentin eines Löwenbändigers auf. 1950 kam sie nach San Francisco und fand einen Job am »Downtown Theatre«: Sie musste zu Beginn jeder Show den schweren Vorhang zur Seite ziehen, der Job hieß Page-Girl. »Ich war so glücklich, ich war im Showbusiness.« Später wurde sie dann B-Girl im »Spanish Village«, einem Club, in dem die Tänzerinnen zwischen den Shows an der Bar arbeiteten und die Gäste zum Trinken animierten. Eines Tages schickte sie der Manager einfach auf die Bühne. »Du kannst es, mach es so wie die anderen.«

Dixie Evans konnte es so gut, dass sie bald eine »eigene Nummer« hatte, mit der sie auf Tour ging: »You must have been a wonderful baby…« Sie trat in Los Angeles, Chicago, St. Louis, Philadelphia, Detroit, New York und Buffalo auf, bis sie von dem Agenten und Veranstalter Harold Minsky entdeckt wurde. »Er sagte: Ich mache aus dir die Marilyn Monroe der Burlesque. Ich sagte: Mr. Minsky, das kann ich nicht, die Leute werden mit Tomaten nach mir werfen.« Das war 1952.

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Stripperinnen-Arbeitskleidung: »Viele Mädchen haben mir ihre Sachen geschickt, als sie mit dem Arbeiten aufhörten«
Foto: Henryk M. Broder

Minsky musste sich nicht sehr anstrengen, um sie zu überreden. »Ich konnte nicht richtig tanzen, ich konnte nicht wirklich singen, aber ich konnte mich wie Marilyn bewegen.« Statt zu strippen, trat sie fortan als »Impersonator« von MM auf. Als die Monroe 1962 starb, »hörte ich auf zu lachen«. Im selben Jahr heiratete Dixie einen Boxer namens Harry, zog mit ihm nach New Jersey und wurde Hausfrau. Nach ein paar Jahren ließ sie sich scheiden, weil sie Harry leid war, er arbeitete inzwischen als Bodyguard und »Collector« für die Mafia.

»The Venus of the Sixties«

Dixie ging nach Miami Beach, fand wieder einen Job in einem Strip-Joint, und als sie Ende der sechziger Jahre das Gefühl hatte, dass sie mit dem Strippen aufhören sollte, zog sie auf die Bahamas, wo sie Hotelmanagerin wurde. Seit 1991 lebt Dixie in Helendale, auf einer ehemaligen Farm, die Charly Arroyo gekauft hat. Charly war 25 Jahre mit Jennie Lee verheiratet, einer Tänzerin und Stripperin, die wegen ihrer enormen Oberweite den Künstlernamen »The Bazoom Girl« trug. Sie lernten sich an der Bar des »Roosevelt« Hotels in Hollywood kennen, wo Charly als Mixer arbeitete. Als Jennie - »The Venus of the Sixties« - krank wurde, zog Charly mit ihr von San Pedro nach Helendale, »wegen des trockenen Klimas in der Wüste«. Jenny starb 1990 im Alter von 61 Jahren und hinterließ einen riesigen Fundus mit allem, was eine Stripperin zum Auftreten und Ausziehen braucht: Kostüme, Kleider, Dessous, Schuhe, Hüte, Make-up-Utensilien, Schmuck und Schnickschnack.

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Dixie Evans in ihrem Museum: Neun Räume, gefüllt mit Tausenden von Objekten aus der Welt der Burlesque
Foto: Henryk M. Broder

Dixie, die seit Anfang der fünfziger Jahre mit Jennie befreundet war, wusste, was sie tun musste: »einen Teil der amerikanischen Geschichte retten und erhalten.« 1992 eröffnete sie das »Exotic World Burlesque Museum«, zuerst waren es zwei Räume, inzwischen sind es neun, gefüllt mit Tausenden von Objekten aus der Welt der Burleske. Was mit den Nachlass von Jennie Lee begann, ist nun die wohl weltweit größte private Sammlung von Requisiten. »Viele Mädchen haben mir ihre Sachen geschickt, als sie mit dem Arbeiten aufhörten«, sagt Dixie. Einige kannte sie persönlich, andere nur vom Hörensagen.

»Die hier ist Linn Temple, das war Irma the Body, das Alexandra the Great und die hieß Annie How. Wenn Sie sich ihre Oberweite anschauen, wissen Sie, wie sie an den Namen gekommen ist.« Die Bilder der »Mädchen« zeugen nicht nur von der Unvergänglichkeit des Schönen, sie sind auch ein Panoptikum der Zeitgeschichte. Man sieht, wann »implants« in Mode kamen, und man staunt, wie bieder die Sexbomben in den vierziger oder fünfziger Jahren aussahen. Ein ganzer Raum ist Marilyn Monroe gewidmet, in einer Glasvitrine hängt eines ihrer Kleider und da liegt auch ein Hütchen, das sie in »Some Like It Hot« trug.

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Tempest Storm: »Ich bin die Britney Spears meiner Generation«
Foto: Henryk M. Broder

Dixie führt jeden Tag Besucher durch ihr Museum, mal kommt nur ein Ehepaar vorbei, das Silberne Hochzeit feiert, mal eine ganze Busladung von Touristen. Im Sommer war eine Gruppe von Männern aus Saudi-Arabien da, die sich alles genau erklären ließen und am meisten über das Schild am Eingang lachen mussten, das Essen, Trinken und unflätige Sprache verbietet. »Da haben die sich alle gegenseitig fotografiert.« Die Führungen sind kostenlos, aber »Donations« werden gerne angenommen. Wenn die Besucher danach fragen, erzählt ihnen Dixie aus ihrem Leben. Sie war einmal verheiratet, hatte in ihrem ganzen Leben nur fünf »Partner«, zuletzt einen reichen Geschäftsmann, mit dem sie sich im Hilton Hotel in Las Vegas traf. »Der war Republikaner, aber nett.«

Sie weiß, worauf es im Leben ankommt. »Man muss beim Trinken aufpassen und darf keine Drogen nehmen.« Übernächstes Jahr, zu ihrem 80. Geburtstag, wird sie eine große Party geben. »Da sind alle eingeladen, die kommen wollen.«

Keine Probleme mit der Schwerkraft

Eine Kollegin, die mit Sicherheit kommen wird, ist Tempest Storm. Ihr Leben verlief so stürmisch, wie es der Name andeutet, den sie 1957 annahm. 1928 als Farmerstochter Annie Banks in Georgia geboren, also nur zwei Jahre jünger als Dixie Evans, tritt sie immer noch in Burlesque -Shows auf. Und denkt nicht daran aufzuhören. »Ich bin die Britney Spears meiner Generation.« Mit 14 Jahren rannte sie von zu Hause weg, heiratete einen viel älteren Soldaten und ließ die Ehe umgehend annullieren. Im Ganzen war sie viermal verheiratet und zweimal verlobt. Mit 19 wurde sie für die Burleske entdeckt, trat mit Dean Martin und Jerry Lewis auf und »ging« ein Jahr mit Elvis.

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Plakat von Tempest Storm: Der letzte Superstar der Burlesque
Foto: Henryk M. Broder

Keine zog sich so elegant und so aufregend auf der Bühne aus wie sie, zu den Klängen von »Stormy Weather«, »Deep Purple« und »I can’t stop loving you«. Sie spielte in mehr als zehn Filmen mit (»Strip, Strip, Hooray«, »Paris Topless«), wurde wie Betty Page verehrt; heute ist sie noch immer eine Diva, obwohl sie seit zwei Jahren in einem geräumigen Trailer hinter dem »Exotic World«-Museum lebt. Als ihr letzter Verlobter starb, hinterließ er ihr nur Schulden. Auch unter schwierigen Bedingungen achtet sie auf Klasse, Manieren und ihre Figur. Die Wohnung ist aufgeräumt, der Tisch in der Küche immer für vier Personen gedeckt und alles, was dick macht, tabu: »Kein Zucker, kein Weißbrot, kein Kuchen, keine Pasta, keine Chips, kein Eis.«

Tempest Storm hat noch immer eine Taille von 21 inch (52 Zentimeter) und »keine Probleme mit der Schwerkraft«. Die wichtigste Einsicht, die ihr das Leben beigebracht hat, lautet: »Du darfst niemals einem Mann trauen!« Anfang 2005 will sie nach Los Angeles ziehen und ihre Memoiren schreiben. Der Titel steht schon fest: »My Life on a G-String«.

3.12.2004

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