Sie haben das Recht zu schweigen. Henryk M. Broders Sparring-Arena

Henryk M. Broder

15.08.2000   13:03   +Feedback

Der Schmock der Woche: Günther Rühle

Rentner in Bad Soden

Mitte der 8oer Jahre war Günther Rühle Intendant des Schauspielhauses in Frankfurt/M. Kein Mensch würde sich heute noch daran erinnern, wenn Rühle nicht im Jahre 1985 beschlossen hätte, Fassbinders Spekulanten-Stück “Die Stadt, der Müll und der Tod” aufzuführen, gegen Fassbinders ausdrücklichen Wunsch, dass nur er selbst das Stück inszenieren darf. Es kam zu einem Skandal, Mitglieder der Frankfurter jüdischen Gemeinde besetzten die Bühne und verhinderten die Aufführung. Statt sich über das Theater um sein unbedeutendes Theater zu freuen, war Rühle beleidigt und nahm den Protest persönlich. Von der taz bis zur New York Times wurde er mit dem Satz zitiert, die Schonzeit für Juden sei vorbei.

Aber erst nachdem dieser Satz in meinem Buch “Der ewige Antisemit” zu lesen war, wurde Rühle richtig böse. Er klagte gegen mich, den Athenäum- und den Fischer-Verlag. Der Prozess endete mit einem “Vergleich”. Rühle erklärte, er habe nicht die “Schonzeit”, sondern den “Schonbezirk” gemeint, ich verpflichtete mich, ihm dieses Zitat nicht zur Last zu legen.

Fünfzehn Jahre später meldete sich Rühle wieder zu Wort, diesmal aus Bad Soden, wo er offenbar die “Allgemeine Jüdische Wochenzeitung” liest, um judenpolitisch auf dem Laufenden zu bleiben. Die Allgemeine hatte einen Text von mir über Walser und Bubis abgedruckt, in dem u.a. die Rede davon war, in Frankfurt sei das “Ende der Schonzeit” schon 1985 ausgerufen worden.

Rühle schrieb einen Leserbrief an die Allgemeine, und ich schrieb daraufhin an Rühle. Hier der Notenwechsel aus dem Sperrbezirk der ewigen Unschuld:

Dr. Günther Rühle, Bad Soden, den 20.7.2000

Sehr geehrte Frau Hart,

Sie bringen in der neuesten Ausgabe der „Allgemeinen Jüdischen Wochenzeitung“ einen Beitrag von Henryk M. Broder: „Die Normalität der Meinungsdienstverweigerer“.

Es heißt dort in der vierten Spalte unter dem Bild „...das ‘Ende der Schonzeit’ holte den Vorsitzenden des Zentralrats der Juden in Deutschland (...) zum zweiten Male ein, nachdem es bereits 1985 in Frankfurt verkündet wurde“.

Ich erhebe Einspruch gegen diese Formulierung, die 1986 Gegenstand einer gerichtlichen Auseinandersetzung zwischen Herrn Broder und mir (als dem damaligen Intendanten von Schauspiel Frankfurt) war. Der damals ausgehandelte Vergleich vor der Dritten Kammer des Frankfurter Landgerichts besagt in Absatz 3, dass der Beklagte, nämlich H. M. Broder, die Behauptung „Das Ende der Schonzeit sei erreicht“ nicht mehr verbreiten dürfe. Der Ausdruck ist in Frankfurt weder von mir noch von meinen Mitarbeitern gemacht worden, er wurde uns unterstellt. Diese Unterstellung hat das Gericht untersagt. Ich stelle fest, dass Herr Broder diese Anweisung in jenem Beitrag gebrochen hat und Sie zur Veröffentlichung der nach wie vor unerträglichen Behauptung benutzt wurden. In Frankfurt wurde kein „Ende der Schonzeit“ verkündet.

Ich bitte dringend um die Veröffentlichung dieser Richtigstellung an der dem Broderschen Text entsprechenden Stelle in der nächst erreichbaren Nummer Ihrer Zeitung.

Mit freundlichem Gruß, gez. Günther Rühle

broder, berlin, 24.7.2ooo

sehr geehrter herr rühle,

frau hart hat mir ihren brief an die allgemeine jüdische wochenzeitung zur kenntnisnahme geschickt. bevor ich auf den inhalt eingehe, erlauben sie mir die nachfrage: was macht das rheuma? machen ihnen die fango-packungen keinen spaß? weigert sich das kurorchester, ihre melodienwünsche zu erfüllen? langweilen sie sich?

offenbar ja, sonst würden sie nicht wie ein pawlowscher hund losbellen, sobald von „frankfurt“ und vom „ende der schonzeit“ die rede ist. das trauma sitzt tief, oder? schon beim flüchtigen durchlesen meiner geschichte hätten sie nämlich feststellen können, daß sie mit keinem wort erwähnt werden, weder namentlich noch als intendant noch als die knallcharge mit roter birne in den kulissen der inszenierung. sie aber stürmen nach vorne und schreien: „ich bin es! aber ich bin es nicht gewesen!“

ich erzähle ihnen eine schöne anekdote. bei einem essen im buckingham palace läßt der könig einen furz fahren. es stinkt gewaltig, aber alle tun so, als hätten sie nichts gemerkt. nach einer weile kracht es wieder unter dem sitz des königs. so geht es noch ein paar mal. irgendwann steht der deutsche gesandte auf, schlägt die hacken zusammen und ruft: „die nächsten drei übernimmt das deutsche reich!“

verstehen sie, was ich damit sagen will? sie können gar keine gegendarstellung oder richtigstellung erwirken. der vergleich, den wir seinerzeit geschlossen hatten, bezog sich darauf, daß ich mich verpflichtete, ihnen die äußerung vom ende der schonzeit nicht zuzuordnen. ich hatte mich nicht verpflichtet, die behauptung zu unterlassen, daß in frankfurt vom ende der schonzeit die rede war, bzw. das ende der schonzeit verkündet wurde. alles klar, gefreiter rühle?

aber wenn sie darauf bestehen, wenn sie aus der beschaulichkeit ihrer rentnerexistenz wieder in die arena steigen möchten, bin ich gerne bereit, ihnen dabei zu helfen und bei der nächsten passenden gelegenheit zu erklären, daß ich sie schon 1985/86 für einen salon-antisemiten gehalten habe und daß ich heute, 15 jahre später, noch immer dieser meinung bin. und dann werden wir sehen, ob sie auf eigenes risiko und eigene kosten vor gericht ziehen werden, nicht so wie damals, als hilmar hoffmann ihr arbeitgeber war und für sie die anwalts- und gerichtskosten bezahlt hat. lassen sie es mich bitte wissen, wo und wann es ihnen recht wäre. im rahmen einer talk-show? am rande der buchmesse? oder beim wassertreten in bad soden?

im übrigen haben sie vergessen, daß sie damals nicht nur gegen mich und den athenäum verlag, sondern auch gegen den fischer verlag geklagt haben. aufgrund des zwischen uns geschlossenen vergleiches wurde auf seite 7 meines bei fischer verlegten buches „der ewige antisemit“ ein satz ausgetauscht. hieß es in der ersten auflage, rühle habe ein „ende der schonzeit für die juden“ gefordert, so stand in den folgenden auflagen der satz, rühle habe gesagt, „daß der jude nicht ewig in einem schonbezirk gehalten werden dürfe…“ - das war ihr ganzer sieg vor gericht: kein ende der schonzeit, nur eine aufhebung des schon-bezirks. weidmanns heil, schütze rühle, und weiterhin viel spaß beim heiteren judenjagen.

ich werde frau hart bitten, ihren brief und meine antwort an sie zugleich zu veröffentlichen. sollte dies nicht möglich sein, werde ich mir erlauben, beide briefe auf meiner home page zu plazieren. ich hoffe, sie haben nichts dagegen. und wenn doch: ist mir auch recht.

mit besten grüßen

15.8.2000

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