Sie haben das Recht zu schweigen. Henryk M. Broders Sparring-Arena

Henryk M. Broder

15.07.2000   13:03   +Feedback

Deutsche Identität?

kaum wurde in münchen die frage ausdiskutiert, ob juden immer noch etwas besonderes sind (siehe: iris berben), machen sich andere menschen gedanken über die jüdische identität, und zwar die nach der shoah. das wort “endlösung” ist irgendwie aus der mode gekommen, und jeder schmock, der mit einer jute-tasche bei aldi einkaufen geht, möchte wissen, ob wenigstens die jüdische identität überlebt hat, wenn schon die juden draufgegangen sind. hier ein beispiel aus dem post- shoah-business der hobby-judologen:

Dr. des. Heinz Peter Preußer, Cuxhaven, 22.5.2000

Sehr geehrter Herr Broder,

für den Internationalen Arbeitskreis Literatur und Politik in Deutschland möchte ich bei Ihnen um ein Referat anfragen. Den Kreis gibt es inzwischen seit gut zwei Jahrzehnten. Für unsere nächste Jahrestagung im Dezember haben wir folgendes Thema gewählt:

Nach der Shoah. Gibt es eine jüdische Identität in Deutschland?

Der Vorstand, dem ich angehöre, möchte von Ihnen, wenn Sie Zeit dazu fänden, gern einen Vortrag hören, der die Interdependenzen von Antisemitismus, Philosemitismus und Zionismus generell und insbesondere die Situation nach der Wiedervereinigung beleuchtet. Gilt noch die These von der negativen Symbiose? Ist ein unbefangener Umgang zwischen den Nachfahren der Opfer und der Täter, jenseits aller Schlußstrichdebatten, überhaupt möglich? Wird er durch den immer wieder heraufkommenden Rechtsextremismus gefährdet?

Die Tagung insgesamt möchte mögliche Alternativen zu substantialistischen, um nicht zu sagen rassischen Definitionen des Judentums oder des jüdischen Denkens anbieten. Läßt sich von einer jüdischen Identität sprechen oder von vielen, spielen der Glaube, die Herkunft, die Lebensumstände die entscheidende Rolle für ein solches Selbstverständnis oder aber die negative Definition über die Erfahrung des Holocaust? Wir wollen die kulturelle Differenz benennen und zugleich hinterfragen, weil sie ja ihrerseits von positiven Zuschreibungen getragen wird.

Neben den wissenschaftlichen Referenten sind drei Schriftsteller der zweiten, respektive der dritten Generation nach der Shoah eingeladen, um auch in Lesungen die Gültigkeit von Wesenszuschreibungen in der jetzigen Zeit zu beleuchten. Weitere Vorträge sollen aus politologischer und soziologischer Sicht das Leben von Juden in Deutschland heute thematisieren und sich der Frage stellen, ob es, mit einem bösen Wort gesagt, so etwas wie Bewältigungskitsch gibt in der Aufarbeitung des Völkermordes der Deutschen an den Juden. Die Literatur der jungen jüdischen Schriftsteller soll ebenso Gegenstand der wissenschaftlichen Erörterung werden wie die Verschränkung von stereotypen Judenbildern und jüdischem Selbsthaß in der Literatur über die letzten Jahrhunderte. Abschließen wollen wir die Veranstaltung mit einem sprachphilosophischen Exkurs über das Schweigen nach dem Holocaust.

Wenn Ihnen das Programm zusagt und Sie zu dem umrissenen Thema (oder einem anderen Ihrer Wahl), möglicherweise in Verbindung zum Stichwort ‘Bewältigungskitsch’, einen Vortrag anbieten wollten, würde uns das sehr freuen.

Noch kurz einige Sätze zum äußeren Rahmen: Wir denken an etwa 30 Minuten Redezeit, um genügend Raum für die Diskussion zu haben. Die Veranstaltung selbst wird vom 1. bis zum 3. Dezember 2000, Freitag bis Sonntag, in Bonn Bad-Godesberg stattfinden. Dort sind Sie Gast der Karl-Arnold-Bildungsstätte, die für Ihre Unterbringung und Verpflegung sorgt. Sie erhalten ein Honorar von 300,- DM; die Fahrtkosten, in der Regel Bahnfahrt, bei größeren Distanzen auch der jeweils günstigste Flug, werden Ihnen erstattet. So weit zu unseren bescheidenen Mitteln, die Sie hoffentlich nicht abschrecken.

Wir können gern und jederzeit auch per Telefon über Ihren Vortrag und die Modalitäten sprechen. Ich hoffe auf eine Zusage und sende Ihnen

freundliche Grüße,Heinz Peter Preußer

broder, berlin, 28.5.2ooo

sehr geehrter herr dr. preußer,

vielen dank für die einladung zu ihrem arbeitskreis literatur und politik.

ich würde gerne kommen und ein referat halten, wenn sie das thema ein wenig variieren könnten: gibt es eine deutsche identität in deutschland? und wenn ja: warum artikuliert sie sich vorzugsweise in der frage nach der jüdischen identät? warum sind so viele deutsche nach der shoah noch immer dermaßen von juden und vom judentum fasziniert? horst mahler auf seine weise, sie auf ihre.

das fände ich ein wirklich interessantes thema und dazu könnte, würde und möchte ich ihnen gerne einiges erzählen, das für sie neu sein dürfte. unter anderem, warum literarische jammerlappen wie maxim biller und rafael seligmann (“schriftsteller der zweiten, respektive dritten generation nach der shoah”) als muster- und mitleidsentgegennahme-juden herumgereicht werden und sich als gegenstand “wissenschaftlicher erörterung” ebenso anbieten wie der literarische stuß, den sie produzieren. es wäre auch angebracht, darüber nachzudenken, warum sie und ihr arbeitskreis so scharf darauf sind, “alternativen zu rassischen definitionen des judentums” anzubieten, über ein halbes jahrhundert nachdem das reichssicherheitshauptamt zugemacht hat und “rasse” als definition eigentlich out ist, außer bei leuten, die immer noch über “alternativen” nachdenken. und ich würde auch gerne über meine persönliche erfahrung sprechen: daß ich nämlich als jude ziemlich problemlos in deutschland leben könnte (und mich über die telekom, die post und den schlechten service bei der mitropa auf der strecke berlin-hamburg aufregen würde), wenn nicht immerzu menschen wie sie “das leben von juden in deutschland heute” aus politologischer und soziologischer sicht “thematisieren” und problematisieren würden. okay, wir sind das auserwählte volk, aber meinen sie nicht auch, daß es an der zeit wäre, daß auch mal ein anderes volk an die reihe kommt?

wenn sie mit diesem themenvorschlag einverstanden sind, komme ich gerne zu ihnen, sogar nach bonn und sogar für ein honorar von 3oo.- mark, das sie bitte an amnesty international überweisen werden.

mit besten grüßen aus berlin

Dr. des. Heinz Peter Preußer, Cuxhaven, den 6. Juni 2000

Sehr geehrter Herr Broder,

haben Sie vielen Dank für Ihre Zusage zu unserer Tagung Nach der Shoah. Gibt es eine jüdische Identität in Deutschland? zu kommen und dort ein Referat zu halten. Selbstverständlich können Sie das Thema variieren und nach der Faszinationskraft des Judentums fragen und dabei das Spektrum von Horst Mahler bis zum ‘Bewältigungskitsch’ abdecken, den Sie gerne auch (bei den eingeladenen oder anderen Wissenschaftlern und Schriftstellern aufzeigen dürfen. Wir sind gespannt auf Ihre Sicht, die gewiß Neues zu bieten hat, Ihre persönlichen Erfahrungen eingeschlossen. Wenn Sie schon einen Titel für Ihren (so veränderten) Vortrag wüßten, wäre ich für eine kurze Rückmeldung dankbar.

Vielleicht noch ein Wort zu meinem Schreiben, das Sie, wenn ich Sie verstehe, provoziert hat. Den Rassebegriff hatte ich inhaltlich in Anführungszeichen gesetzt. Denn es geht um die substantialistischen Definitionen des Judentums, die, so die Unterstellung, nur negativ das Rasseklischee reproduzieren, von dem sie sich doch distanzieren wollten. Durch den Genozid an den Juden wurde bestärkt, was den Nazis ein Kriterium der Selektion und der Vernichtung war: Volk und Rasse. Wenn sich Judentum nach den Holocaust durch diesen definiert, wiederholt sich also in der Umkehrung diese Vorgabe. Mich interessiert die ziemlich einfache Frage, was Judentum heute auszeichnen kann, wenn die Herkunft allein keine identitätsstiftende Funktion haben soll. Dazu, meine ich, werden Sie einiges zu sagen haben.

Das ist, im übrigen, meine eigene, insofern unbedeutende Meinung. Der Arbeitskreis ist prinzipiell offen für alle.

Nochmals: ich freue mich über Ihre Zusage und bin neugierig, was Sie uns vortragen werden.

Mit freundlichen Grüßen,gez. Heinz Peter Preußer

broder, berlin, 1o.6.2ooo

sehr geehrter herr dr. preußer,

haben sie vielen dank für ihre antwort auf meinen brief vom 28.5., den sie offenbar erhalten aber nicht richtig gelesen haben. ich habe ihnen geschrieben, daß ich an ihrer tagung teilnehmen würde, wenn sie sich statt mit der jüdischen identität in deutschland mit der deutschen identität in deutschland beschäftigen würde, also mit den eigenarten, fixierungen und stimuli, die sie, herr dr. preußer, und ihre freunde zur beschäftigungen mit der juden treiben. einfacher ausgedrückt: warum sich die deutschen immerzu zwanghaft mit den juden beschäftigen müssen. noch einfacher: was ist es, das die deutschen so antörnt, wenn sie nur das wort “jude” hören oder lesen?

falls ich sie mißverstanden habe und sie inzwischen tatsächlich das thema ihrer tagung dahingehend geändert haben, wäre ich ihnen sehr dankbar, wenn sie mir eine kopie des schreibens zuschicken würden, mit dem sie auch die anderen teilnehmer von der kursänderung informiert haben. auch wüßte ich gerne, wer außer mir auserwählt wurde, an dieser tagung teilzunehmen.

mit besten grüßen

Dr. des. Heinz Peter Preußer, Cuxhaven, den 21. Juni 2000

Sehr geehrter Herr Broder,

vielen Dank für Ihr neuerliches Schreiben vom 10. des Monats. Ich bedaure, Sie in Ihrem Brief vom 28. Mai mißverstanden zu haben, kann aber Ihrem Wunsch, die Thematik der Tagung selbst abzuändern, wohl nicht folgen. Wie Sie Ihren Akzent setzen wollen, hatte ich Ihrer Wahl überlassen, für die Veranstaltung aber bin ich gebunden. Der Arbeitskreis verfährt basisdemokratisch (ein aus der Mode gekommener Begriff), indem er auf seinen Tagungen Themenvorschläge erbittet, die das Plenum und der Vorstand unterbreiten und die dann diskutiert und in einem Meinungsbild festgehalten werden. Das Thema Nach der Shoah. Gibt es eine jüdische Identität in Deutschland? ist auf eine Anregung aus dem Plenum zurückgegangen; wir als Vortand bemühen uns um die Umsetzung und versuchen, dazu prominente und kompetente Referenten zu finden.

Eine Veranstaltung nur eine Woche zuvor in Berlin befaßt sich mit der Literatur der dritten Generation deutschjüdischer Autoren (der Begriff ist, selbstredend, umstritten). Als wir unsere Tagung beschlossen, wußten wir noch nichts von dem nahezu parallel laufenden Symposion, das Hartmut Steinecke und Sander L. Gilman im Literarischen Colloquium durchführen werden. Beide Veranstaltungen gehen aber gemeinsam davon aus, daß es die Literatur selbst ist, die den Status jüdischer Identität nach dem Holocaust problematisiert. Wir folgen also einer Selbstzuschreibung, auch wenn sie bevorzugt von Autoren hervorgebracht wird, die Sie vielleicht nicht sonderlich schätzen. Da Sie mich so direkt anreden, gestatten Sie noch eine persönliche Bemerkung? Ich habe generelle Schwierigkeiten mit Identitäten, mit kollektiven allemal. Und ich wollte allen Referenten nahelegen, es sich mit den Identitäten, den jüdischen wie den deutschen, nicht einfach zu machen. Im übrigen sind weder ich noch der Arbeitskreis sonderlich (oder gar zwanghaft) fixiert auf eine Beschäftigung mit “den Juden”. Seit es den Kreis gibt, hat er in rund zwanzig Jahren und vielleicht vierzig Einzelveranstaltungen meines Wissens kein einziges Mal dieses oder ein ähnliches Thema behandelt. Aber hier kann die Erinnerung auch trügen, zumal mir eine lückenlose Dokumentation bei diesem selbstorganisierenden Ehrenamt nicht zur Verfügung steht.

Nochmals: Ich würde mich sehr freuen, Sie als Vortragenden unter uns zu wissen, aber eine Veränderung des Themas über Ihren Vortrag hinaus ist leider nicht möglich; es sei denn, Sie wollten selbst die anderen Referenten umstimmen, soweit sie Ihnen bekannt sind. Deshalb hier noch schnell eine Aufstellung über die möglichen Redner:

Wir haben Julius H. Schoeps um den Eröffnungsvortrag gebeten. Die Lesung am selben Abend wird Doron Rabinovici bestreiten. Dann sollen folgen die Britin Lynn Rappaport, ein Vertreter des Zentrums für Antisemitismusforschung (Wolfgang Benz ist zum Termin leider verhindert) sowie Sie selbst, Herr Broder, wenn Sie doch zusagen. Zum Samstag nachmittag haben wir Kathy Galbin eingeladen, die Lesung am Abend sollen Barbara Honigmann und Maxim Biller bestreiten, alternativ Esther Dischereit, Katja Behrens oder Thomas Brasch. Für den Sonntag vormittag ist Gert Mattenklott eingeplant, dann gefolgt von Ernestine Schlant, sofern sie die lange Anreise aus den USA nicht noch abschreckt. Verabredet habe ich mit Thomas Jung aus Oslo einen Beitrag über Literatur und Judentum in der DDR, über dessen Platzierung ich mir noch nicht ganz klar bin. Sander L. Gilman wird als einer der Veranstalter des Symposions zur deutsch-jüdischen Literatur der neunziger Jahre im Literarischen Colloquium in Berlin von Chicago aus kommen. Wir wollen sehen, ob sich diese (von uns nicht gewollte) Parallelität der Daten nicht auch zu einem Vortrag Gilmans bei uns positiv wenden ließe.

Nochmals: Ich hoffe auf Ihre Zusage. Sollte ich mich unklar ausgedrückt oder Sie erneut mißverstanden haben, rufen Sie mich bitte direkt unter der oben genannten Nummer an. Sie können sich aber auch gern, wenn Sie Schwierigkeiten mit meiner Person haben, an meine Kollegin wenden, mit der ich mir den Vorsitz des Arbeitskreises Literatur und Politik in Deutschland und die Organisation der Tagung teile. Unten finden Sie deren Adresse.

Mit freundlichen Grüßen,Heinz Peter Preußer

broder, berlin, 1o.7.2ooo

sehr geehrter herr preußer,

 

vielen dank für ihren brief vom 21. juni, den ich erst heute beantworte, weil ich zwischendurch mit der identität der isländer nach 1944 beschäftigt war. es war wirklich nicht meine absicht, eine basisdemokratische entscheidung umstoßen zu wollen, ich dachte nur, es würde mir gelingen, ihnen die absurdität ihres projekts klarzumachen, ich habe es sozusagen als eine sportive herausforderung gesehen, hätte es aber besser wissen müssen: wo ein basisdemokratischer entscheidungsprozeß abgeschlossen wurde, muß er auch mit aller konsequenz zu ende geführt werden. das war nach den basisdemokratischen prozessen im jahre 1933 genauso.

ich habe keine schwierigkeiten mit ihrer person, weil ich sie nicht kenne, ich nehme sie einfach als die verkörperung des unheilbar gesunden, wie es sich in deutschland öfter zu wort und zur tat meldet. denn sie wissen wirklich nicht, was sie tun. nur: das macht die sache nicht besser, sondern nur noch schlimmer.

es gehört wirklich die mentalität eines domestizierten pitbulls dazu, zuerst eine spezies ausrotten zu wollen und danach die überlebenden und nachgeborenen zu fragen: wie gehts es euch denn so? wollen wir uns nicht mal über eure identität unterhalten?

sie kennen sicher die hübschen dokumentaraufnahmen aus den 3oer jahren, wo deutsche lehrer deutsche schüler vor die klasse rufen, um ihre köpfe zu vermessen und so die arier von den rassisch kontaminierten zu separieren. mir persönlich gefallen die aufnahmen aus den ghettos im osten noch viel besser, wo angehörige der ss und der wehrmacht juden tanzen lassen und sich köstlich über die hüpfenden gestalten amüsieren. auch damals ging es darum, dem geheimnis der jüdischen identität auf die spur zu kommen. es schwebt bis heute ungelöst im raum und kommt gelegentlich als stoff für tagungen nieder.

daß einige wander- und allzweckjuden wie doron rabinovici bei solchen exerzitien mitmachen, ändert nichts an der tatsache, daß hier ein paar semiten am nasenring in der arena arischer unschuld vorgeführt werden. im übrigen hab ich heute von meinem freund sander gilman aus chicago erfahren, daß er mitnichten zugesagt hat, an ihrer tagung teilzunehmen. sie sollten sich rechtzeitig nach einem ersatz umschauen. was mich angeht, muß ich ihnen leider definitiv absagen. ich habe ersatzweise unseren notenwechsel auf meiner website http://www.henryk-broder.de ins internet gestellt. als beitrag zur großen deutsch-jüdischen identitäts-debatte.

mit besten grüßen

15.7.2000

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