Sie haben das Recht zu schweigen. Henryk M. Broders Sparring-Arena

Henryk M. Broder

10.07.2000   13:04   +Feedback

Ein Potz im Flieger

Es war fünf Uhr dreißig am morgen, ich war noch völlig verpennt und mußte mich entscheiden. Sollte ich die 6 Uhr 2o Maschine nach München nehmen oder die 7 Uhr 2o nach Berlin? Die nach Berlin war überbucht, in der nach München gab es noch Platz. Also flog ich nach München. Eine echte Alternative gab es ohnehin nicht, beides waren EL AL Flüge, und zu den Spezialitäten von EL AL gehört ein Flugplan, der die Reisenden zwingt, kurz nach Mitternacht aufzustehen, um drei Stunden vor dem Abflug am Flughafen zu sein. Zwei Tausend Jahre Leiden in der Diaspora wären umsonst, wenn die EL AL zu menschlichen Zeiten fliegen würde, auch das Fliegen muß eine Strapaze sein wie früher das Leben im Ghetto. Wem es nichts ausmacht, zwischen 4 und 7 Uhr los zu fliegen, solche Menschen soll es ja geben, der wird gleich nach dem Start mit einem Essen belohnt, das ältere Reisende an die Marschrationen zwischen Dachau und Sachsenhausen erinnert.

Ich hatte trotzdem EL AL gebucht, weil ich einen Hund von Israel nach Deutschland mitnehmen wollte, und in solchen Fällen ist die EL AL ziemlich unkompliziert, während die Lufthansa nur Schäferhunde mitnimmt und außer einem Impfschein auch einen Stammbaum verlangt, der bis Blondie vom Obersalzberg zurückgehen muß.

Irgendwie schaffte ich es, mich überall vor zu drängeln und in Rekordzeit durch alle Security-Checks zu kommen (“Hast Du Familie im Lande?” - “Nein, ich hab nur eine Wohnung, das reicht.”), saß um viertel nach 6 Uhr in dem Flieger nach München und murmelte “Baruch ha’schem”, gelobt sei der Herr, vor mich hin. Dann versank ich in einem tiefen Erschöpfungsschlaf und wachte erst auf, als die Tabletts mit den Essensresten um mich herum eingesammelt werden. Ich hatte ein Omelett verpaßt und beschloß, gleich weiter zu schlafen, doch bevor ich meine Schlafmaske wieder über die Augen zog, bemerkte ich noch, wie ein ziemlich großer Kerl ein paar Reihen vor mir sich in den Gang stellte und anfing Tefillin zu legen, das heißt, die Gebetsriemen um Kopf und linken Arm zu wickeln und das Morgengebet zu sprechen (das man eigentlich v o r dem Frühstück sagen muß, sonst gilt es nicht). Bevor der Kerl mit dem Beten anfing, schaute er sich nach allen Seiten um, als ob er sicher gehen wollte, daß seine Vorstellung auch bemerkt wird. “Was für ein Potz”, dachte ich, “wahrscheinlich ein Konvertit, so groß kann kein Jude sein”. Der Mann war mindestens 1 Meter 9o lang, ich kann solche Typen nicht ausstehen, schon deswegen, weil sie im Flugzeug ihr Gepäck mühelos in den Ablagen verstauen können, während ich mich strecken, recken und schließlich auf den Sitz stellen muß, wenn ich eine Tasche nach oben wuchten will. Irgendwie kam mir der Typ bekannt vor, aber es war mir egal, ob ich ihn kannte oder ob er nur jemand ähnlich sah. Hauptsache, ich hatte drei Sitze für mich, konnte mich hinlegen und weiter schlafen.

Kurz vor der Landung wachte ich wieder auf. Die Maschine parkte weit draußen auf dem Vorfeld, der Zubringerbus brauchte 2o Minuten bis zur Halle F. Von vier Paßschaltern waren nur zwei besetzt, die beiden Grenzer machten sich einen Spaß daraus, ältere Männer und Frauen ihre Hüte abnehmen zu lassen, um die Gesichter besser mit den Fotos in den Pässen vergleichen zu können. Als ich an der Reihe war, mußte ich keinen Hut abnehmen, dafür gab es eine kurze und heftige Brüllerei mit der Dumpfbacke in Uniform, der zu mir “du da stehen” sagte, weil er versehentlich annahm, ich wäre ein Israeli.

Ich hätte es wissen müssen: ein Potz kommt selten allein. Mir gegenüber am Gepäckband stand der lange Typ, der eben im Flieger seine “Ich-bete-und-ihr-schaut-mir-zu”-Nummer abgezogen hatte, ein Filmemacher und Buchautor, bekannt für seine chronische Flugangst und eine Vorliebe für Blondinen. Er baggerte grade eine Braut an, die neben ihm stand. Hatte er mir nicht mal vor Jahren erzählt, wie sehr er alles Religiöse hassen würde, daß er seinen Eltern die Fensterscheiben eingeschmissen hatte und seine Mutter am liebsten aus dem Fenster geworfen hätte, weil er auf eine Jeschiwa gehen mußte? Und jetzt legte er morgens Tefillin, vor allen Leuten. “Masel tow”, dachte ich, “noch einer, der sein wahres ich endlich gefunden hat”.

Dann dauerte es nur noch 4o Minuten, bis das Gepäck kam, meine Sachen rollten als erste vor, schließlich hatte ich als letzter eingecheckt. Ich schnappte mir den Rollerkoffer, den mir Hanna geliehen und den Duty-Free-Karton, den mir Avi gegeben hatte, und wollte nur noch an die frische Luft. Da stellte sich mir ein Zöllner in den Weg. “Was ist in dem Karton?” - “Zeitungen, Bücher und eine Dose Nescafé”, sagte ich wahrheitsgemäß. “Neu oder gebraucht?”, wollte der Zöllner wissen. “Zeitungen, Bücher und eine Dose Nescafé”, wiederholte ich. “Neu oder gebraucht?” wiederholte der Zöllner. “Alles gebraucht”, sagte ich, um den Dialog abzukürzen. Und schon war ich draußen.

Ja, wer am Max Planck Institut nicht angenommen wird, bekommt beim Grenzschutz und beim Zoll eine zweite Chance. Und reisen macht Spaß. Das einzige, was mich nervt, ist der Terror am Anfang, der Streß am Ende und alles dazwischen.

10.7.2000

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