Sie haben das Recht zu schweigen. Henryk M. Broders Sparring-Arena

Henryk M. Broder

15.07.2000   13:05   +Feedback

Webexecution failed

Die mobilcom-Tochter freenet hat ein technisches Problem. Statt es zu lösen, werden Kunden von der Hotline mit Ausreden bedient.

Ich habe Email. Ich kann Emails überall hin schicken. Zu Alex nach Paris, zu Nathan nach Tel Aviv, zu Susan nach Miami, zu Ashkan nach New York, zu Arthur in Reykjavik und zu Hanna & Hilde in Augsburg.

Leider kann ich keine Emails empfangen, denn ich bin Kunde bei freenet, einer Tochterfirma von mobilcom in 24 782 Büdelsdorf bei Flensburg. Seit fast zwei Monaten werde ich von freenet verarscht und mit ständig neuen Ausreden hingehalten. freenet ist nicht frei, es kostet 4,9 Pfennig pro Minute. Jeder Versuch, an meine Emails zu kommen, dauert 3 bis 5 Minuten, kostet mich also 20 Pfennig. Das ist nicht viel, aber für einen Service, der nicht funktioniert, entschieden zu viel.

Der Reihe nach:

Als erstes gehe ich auf die freenet-Seite, die mich sowohl ins Internet wie an meine Emails bringt. Ich klicke “e-tools” an. Die nächste Seite sagt mir, welche “e-tools” freenet anbietet. Ich gebe meinen Login-Namen (hmbroder) und das Paßwort ein und klicke auf “e-mail”. Die folgende Seite bietet mir gleich sechs Optionen an: schreiben, lesen, postfächer, adressbuch, beenden, hilfe. Ich klicke auf “lesen” und komme einen Schritt voran. Nun erscheint “hmbroder@freenet.de” im Display und ich werde aufgefordert, das nächste Paßwort einzugeben. Meine Mails wohnen offenbar in einem Hochsicherheitstrakt. Ich gebe das zweite Paßwort ein und klicke auf “los”. Toll, es klappt. Ich habe drei neue Emails, eine von Patrick in Berlin, eine von Alex in Paris und eine von freenet. Ich klicke die Mail von freenet an, doch statt des versprochenen Newsletters mit den tollen neuen Angeboten von freenet sehe ich nur auf dem linken oberen Rand des Bildschirms zwei Schriftzeilen: “Webmail execution failed. Lost your account identification.”

Als mir das zum ersten mal passierte, nahm ich natürlich an, ich hätte irgendwas falsch gemacht, ging wieder auf die freenet-Startseite und alle sieben Stufen noch einmal durch. Am Ende hieß es wieder: “Webmail execution failed. Lost your account identification.”

Für solche Fälle hat freenet eine Hotline: 01805-019290. Die Hotline ist meistens besetzt, aber wenn man es 2o bis 3o Minuten versucht, hat man eine Chance, einen freenet-Mitarbeiter zu erwischen. Ich habe am 17. und 18. Mai 2ooo mit fünf freenet-Hotline-Mitarbeitern gesprochen, Herrn Peters, Herrn Luhmann, Frau Renner und zwei weiteren, deren Namen ich mir nicht gemerkt habe. Alle hörten mir geduldig zu, und jeder erklärte mir, was i c h falsch mache. Ich sollte mir einen anderen Browser besorgen, ich sollte Netscape 4.5 installieren, ich sollte mir einen PC statt eines Mac zulegen, denn mit einem Mac gäbe es immer Probleme. Ich wagte zu widersprechen, denn vor Wochen konnte ich meine Mails abrufen, erst seit freenet ein neues (und kompliziertes) System eingerichtet hatte, ging es nicht mehr. Ich wollte mit einem Techniker sprechen, und alle Hotline-Mitarbeiter versprachen, meine Bitte weiter zu geben. “Wir rufen Sie zurück, sobald ein Techniker frei ist.” Kein freenet-Mitarbeiter rief mich je zurück.

Ich gab den Umgang mit der Hotline auf und rief statt dessen den Pressesprecher von mobilcom, Stefan Arlt, an. Ich mache es ungern, aber als SPIEGEL-Reporter wird man meistens eine Spur besser als ein gewöhnlicher Verbraucher behandelt. Herr Arlt reichte mich sofort an Thomas Hennes von der Abteilung “Internet-Team” weiter. Ich schilderte Herrn Hennes mein Problem, der war total überrascht (“So was hab ich noch nie gehört”) und bereit, mir zu helfen. Wir haben dann gemeinsam versucht, meine Mails zu öffnen, ich an meinem Mac, Herr Hennes an seinem PC, ich verriet Herrn Hennes meine beiden Paßworte, und am Ende der Prozedur stand Herr Hennes vor einem Rätsel:

“Webmail execution failed. Lost your account identification.” -

“Ich kann Ihnen die Fehlermeldung nicht erklären”, sagte Herr Hennes ein wenig kleinlaut, aber ich werde mich darum kümmern. Wir melden uns bei Ihnen.”

Seltsam war nicht nur, daß Herr Hennes vom “Internet-Team” der mobilcom die Fehlermeldung nicht erklären konnte, noch seltsamer war, daß er von dem Fehler keine Ahnung hatte. War ich der einzige mobilcom-Kunde, der sich beschwert hatte? Oder war ich nur der einzige Kunde, der sich mit den Ratschlägen der Hotline nicht zufrieden gab?

Könnte es sein, daß sich unter den Tischen der Hotline-Mitarbeiter die Beschwerden stapelten, um dort unerledigt liegen zu bleiben?

Fast zwei Monate später, am 12. Juli, wollte ich wieder schauen, wie es meinen Mails bei freenet geht. Ich ging auf die Startseite, klickte “e-tools”, “e-mail” und “lesen” an, gab das erste und das zweite Paßwort ein und landete schließlich auf der Seite mit dem Verzeichnis der Mails. Ich klickte eine Mail an. Und schon war der Spaß vorbei. “Webexecution failed. Lost your account identification.”

Ich hatte grade nichts zu tun, also rief ich wieder die freenet-Hotline an.

Diesmal war die Leitung nicht besetzt, und eine Frau Armgard meldete sich mit einem fröhlichen “Was kann ich für Sie tun?” Ich schilderte Frau Armgard mein Problem. Und sie hatte sofort eine organische Erklärung parat. “Bei uns werden Wartungsarbeiten durchgeführt, die noch nicht abgeschlossen sind.” - Seit wann denn die Wartungsarbeiten durchgeführt würden, wollte ich wissen. “Seit dem Wochenende”, sagte Frau Armgard. Aber ich kann meine Mails seit zwei Monaten nicht öffnen, gab ich zurück. Da wurde Frau Armgard leicht nachdenklich und wollte alles mögliche von mir wissen. “Haben Sie einen ISDN-Anschluß? Welches Betriebssystem benutzen Sie? Und welches Modem? Machen Sie es über unsere Startseite?” - “Ja, ich mache es über Ihre Startseite, aber es klappt nicht.” - “Ich kümmere mich darum”, versprach Frau Armgard.

Und wirklich, fünf Minuten später rief mich Frau Armgard zurück. Sie haben mit einem Techniker gesprochen, und der habe ihr erklärt, woran es liege. “Ihre Emails kommen im HTML-Format an. Das ist ein besonderes Format und dafür brauchen Sie eine spezielle Software.”

Ich gab zu bedenken, daß es auf der freenet-Seite unter dem Rubrum Email u.a. heißt: “Nutzen Sie unseren Webmaildienst, ohne Software zu installieren…” und daß es vielleicht gut wäre, wenn freenet in seiner Werbung darauf aufmerksam machen würde, daß die Nutzer eine spezielle Software brauchen. “Das müssen Sie der Werbung sagen”, antwortete Frau Armgard recht ungehalten, “wir sind hier die technische Hotline und nicht für die Werbung verantwortlich.”

Das war wenigstens ein klares Wort. Also rief ich wieder den Pressesprecher an und der reichte mich umgehend an den Chef des Internet-Teams, Thomas Hennes, weiter. Der hatte sich mittlerweile kundig gemacht, war allerdings nicht viel weiter als bei unserer ersten Unterhaltung vor zwei Monaten. Man habe “auswärtige Experten” nach Büdelsdorf geholt, “die sind dabei, den Fehler zu suchen, ich habe selber keine Erklärung dafür”.

Da war keine Rede mehr vom falschen Browser oder einer speziellen Software für das HTML-Format, nur noch stille Ratlosigkeit. Nicht ich habe das falsche Betriebssystem, sondern freenet. Und keiner in Büdelsdorf bei Flensburg hätte es gemerkt, weil die Hotline so prima arbeitet und jedem Kunden am Rande eines Nervenzusammenbruchs erklärt, woran es liegt, wenn es bei ihm nicht klappt.

15.7.2000

Permanenter Link

Uncategorized