Sie haben das Recht zu schweigen. Henryk M. Broders Sparring-Arena

Henryk M. Broder

22.10.2000   13:03   +Feedback

Der Schmock der Woche: Ein Albtraum namens Herta

Wir sind ja von den Jungs, die uns derzeit regieren, schon einiges gewohnt. Der Kanzler führt Herrenmoden vor, der Außenminister philosophiert über das Joggen (“Der lange Lauf zu mir selbst”), der Verteidigungsminister spielt Coverboy für die BUNTE, der Innenminister macht PR für die Fußball-WM, der Umweltminister legt sich für ein Lifestylemagazin hin. Zwischendurch regieren sie dann ein bisschen, um sich vom Stress ihrer öffentlichen Auftritte zu erholen. Ja, wer sich von den Prolos im RTL-2-Container die Show nicht stehlen lassen will, darf bei der Wahl der Mittel nicht kleinlich sein.

Jetzt hatte auch Herta Däubler-Gmelin ihre Performance. Bisher war sie nur dadurch aufgefallen, dass sie so spricht wie sie aussieht. Alles an ihr ist schwäbisch: der Tonfall, die Kleidung, die Frisur. Verglichen mit HDG ist Claudia Nolte eine erotische Provokation, Rita Süßmuth eine intellektuelle Herausforderung und Heidi Wieczorek-Zeul die Anna Nicole Smith des SPD-Unterbezirks Hessen-Ost. Allerdings: der oberflächliche Eindruck täuscht. HDG, Mutter zweier Kinder und Mitglied des SPD-Präsidiums, ist eine tickende Zeitbombe, unberechenbar wie eine Lawine, die jeden Moment abgehen kann. In der ZEIT-Serie “Ich habe einen Traum”, mit der das DIN-A-0-Blatt diejenigen Leser, die bei der Lektüre des Politik-Teils noch nicht eingeschlafen sind, weiter bei Laune halten möchte, erzählte die Justizministerin von einem Traum, den sie mal hatte oder haben möchte. In jedem Fall ist es eine Phantasie, die Freuds letzte Frage (“Was will das Weib?”) mit einer Eindeutigkeit beantwortet, die nach einem Amtsenthebungsverfahren schreit.

HDGs Traum spielt im Jahre 184o, “es ist heiß”, und sie befindet sich “an der Küste Westafrikas”, nicht in einem Club Med, sondern “in einem Fort”. Doch sie ist nicht allein und nicht freiwillig dort. “Ich bin eine von Tausenden schwarzen Sklaven, die von weißen Händlern… zusammengetrieben wurden, um sie nach Amerika zu verkaufen…” Man hat ihr die Nummer 1943 eingebrannt, ihr Geburtsjahr. “Das Schiff legt ab. Wir landen im Hafen von New Orleans.”

Leider erfahren wir nichts über das Leben auf dem Schiff und die lange Reise nach Amerika, dafür werden die Zustände nach der Ankunft umso ausführlicher beschrieben: “Die Auktion ist schrecklich, man prüft Gebiss und Muskeln. Wir sind über hundert schwarze Frauen…” Plötzlich schreit der Händler: “1943, runter mit dir.” Woran erinnert uns das? Eine Rampe mit einem Gleisanschluss, Menschen mit eintätowierten Nummern, die selektiert werden… Doch es ist nicht Doktor Mengele, der Herta in Empfang nimmt. “Der Mann, der mich kauft, kommt mir bekannt vor. Er ist hager, spricht einen Dialekt eher aus dem Norden, ich habe ihn schon gesehen ...” Ist es ein Tabak-Farmer aus Virginia, ein Hühnerzüchter aus Kentucky oder Saloon-Besitzer aus Alabama? Natürlich nicht, selbst als schwarze Sklavin hat die träumende Justizministerin einen Anspruch auf einen Platz in der VIP-Lounge der Welt-Geschichte. Es ist “Abe Lincoln”, der sie kauft, der spätere Präsident.

Sie fahren zusammen “den Mississippi hinauf”, natürlich “mit dem Raddampfer”, weil der Helikopter noch nicht erfunden ist. Herta wohnt im Hause der Lincolns und macht sich nützlich. “Ich begleite ihn bei auswärtigen Gerichtsterminen, um dafür zu sorgen, dass er unterwegs zu essen hat und ordentlich aussieht, wenn er vor Gericht auftritt…”

Als sie Abe eines Tages von ihrer “eigenen Arbeit als Anwältin erzählt, staunt er”, denn “Frauen in Männerberufen findet er offensichtlich merkwürdig”, doch dann will er doch mit Herta “in die Zukunft fahren”.

Kein Problem. “Wir beamen uns hoch und tauchen in Berlin wieder auf, in meinem Dienstzimmer am Gendarmenmarkt.” Da lernt Abe Hertas Freunde kennen: Martin Luther und Willy Brandt, Hildegard von Bingen und Günter Grass. “Alle essen mit gutem Appetit - Fleisch, Salat und eine kräftige Suppe…” Und dann fahren sie nach Tübingen, weil Abe “wenigstens kurz noch eine deutsche Stadt sehen” möchte, bevor er sich wieder auf den Heimweg macht.

Wie es weiter geht, wird hier nicht verraten. Nur so viel: Es ist ein politisch korrekter Traum, es gibt keinen Gang-Bang im Keller des Erich-Ollenhauer-Hauses, nicht einmal einen Besuch in der Werkstatt von Klaus Staeck in Göttingen. Am Ende spricht Abe Lincoln Sätze, die aus dem Godesberger Programm der SPD sein könnten, falls sie es nicht tatsächlich sind.

Was lehrt uns das? Der deutsche Film steckt mal wieder in der Krise, dafür ist Herta echt Spitze, ein weiblicher Indiana Jones unterwegs im Raumschiff Enterprise zurück in die Zukunft. Heidi kommt in die Stadt, Herta hat einen Traum. Und ich bitte um Vergebung, dass ich vor zwei Jahren die SPD gewählt habe. Mach ich nicht wieder. Nicht mal in einem Albtraum.

22.10.2000

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