Sie haben das Recht zu schweigen. Henryk M. Broders Sparring-Arena

Henryk M. Broder

28.09.2000   13:04   +Feedback

Gel oder nicht Gel?

Der Titel seiner Talk-Show »Vorsicht! Friedman« muss wörtlich genommen werden. Wo er auftaucht, setzt es gnadenlos Küsschen - links, rechts und rechts, links. Eben war Iris Berben an der Reihe, die nett genug war, ein wenig in die Knie zu gehen, nun ist es Hannelore Elsner, zu der er sich hinunter beugt. Die macht das Ritual mit, ist aber nicht amused. »Der knutscht jeden ab, der ihm in die Quere kommt.« Dann eilt Michel »Mischu« Friedman nach vorne, wo Berthold Beitz grade Platz genommen hat, denn da sind die Kameras. Beitz bekommt kein Küsschen, dafür einen langen, kräftigen Händedruck - von Mann zu Mann.

Frau Berben und Frau Elsner, Herr Beitz und Herr Friedman nehmen an einer Gala teil. Gastgeber ist Steven Spielberg und seine Shoah-Foundation, irgendwie geht es auch um den Holocaust und ein paar tote Juden, dennoch sind alle fröhlich und aufgekratzt. Wie schon am Tag zuvor. Da gab es im selben Saal die große Hör Zu Gala, bei der die Goldenen Kameras vergeben wurden. Und auch da waren schon Iris Berben, Hannelose Elsner und Michel Friedman mit an Bord, ebenso fröhlich und aufgekratzt.

Was immer man über Michel Friedman, Rechtsanwalt, Mitglied der CDU, Präsidiumsmitglied des Zentralrates der Juden in Deutschland und seit kurzem auch Kulturbeauftragter der saarländischen Regierung, sagen mag, man erkennt den Wert einer Party immer daran, ob »Mischu« teilnimmt oder nicht. Nimmt er nicht teil, kann es sich nur um den Ball der Freiwilligen Feuerwehr in Plettenberg handeln oder ein vergleichbares Non-Event, nimmt er teil, dann ist es ein gesellschaftliches Ereignis, über das alle berichten, vor allem über die aufregende Tatsache, dass Michel Friedman teilgenommen hat. Es ist wie mit dem Berliner Prominenten-Friseur Udo Walz: Wo der ist, da sind auch alle anderen wichtig.

Das Problem mit »Mischu« liegt darin, dass er eigentlich ein kluger und netter Kerl ist, bei dem allerdings ein paar Sicherungen, die der Selbstkontrolle dienen, durchgebrannt sein müssen. Wenn er sich zu politischen Fragen äußert, spricht er zwar wie ein pensionierter Staatssekretär, doch in der Sache hat er recht. Er nennt es »eine Schande, wie sich die deutsche Wirtschaft in der Frage der Zwangsarbeiter verhält«. Er hat der CDU für ihre Anti-Doppelpass-Kampagne die Leviten gelesen, so würden nur Ressentiments geschürt; er hat ein europaweites Verbot für Hetzliteratur gefordert, weil es nicht sein kann, »dass der Vertrieb von ‘Mein Kampf’ in Deutschland verboten und in Schweden möglich ist«.

Und wenn sich die CDU bei der PDS anbiedert, sorgt er mit einem Satz für Klarheit: »Die PDS heißt in Wahrheit immer noch SED.«

Doch das Thema, das »Mischu« am meisten am Herzen liegt, heißt: Michel Friedman. Er wartet nicht ab, bis andere über ihn reden, er kommt allen zuvor. Seine Talkshow »Vorsicht! Friedman« macht er nicht, weil er es geil findet, im Fernsehen aufzutreten, nein, er möchte mit dieser Sendung »die Leidenschaft in die Politik« zurückbringen.

Er, der schon als Schulsprecher, Studentenfunktionär und Stadtrat Politik gemacht hat, kokettiert mit der eigenen Rolle, die ihm ebenso auf den Leib geschnitten ist wie seine Maßanzüge: »Ich bin kein Berufspolitiker.« Doch kaum wurde er zum kulturpolitischen Berater des saarländischen Ministerpräsidenten ernannt, war er schon als möglicher Berliner Senator für Kultur und Wissenschaft im Gespräch, natürlich ohne dass er etwas dafür konnte. Eine Eigenschaft, die er gerne hätte, wäre für eine Top-Position eine gute Voraussetzung: »Nicht müde zu werden, nicht schlafen zu müssen.« Jetzt schon braucht er »nur drei bis vier Stunden Schlaf«, sagt er einer Reporterin bei einem »Tischgespräch«, die daraufhin vor Begeisterung über ihn austickt: »... ehrlich, menschlich, weltoffen, mit fabelhaften Manieren und ebensolchem Aussehen. Nur die gegelten Haare wirken antiquiert«. Doch es ist nur eine optische Täuschung. »Kein Gel«, sagt Friedman, »nur Wasser«. Um die Locken glatt zu kämmen.

Gel oder nicht Gel. Friedman weiß, dass zwischen ihm und einer wirklichen Karriere als Politiker seine Frisur steht, dass er mit dem Feucht-Biotop etwas anstellen müsste, wenn er über den Sitz im ZDF-Fernsehrat hinauskommen möchte. Einer wie Jürgen Drews wird auch nie den Grand Prix de la Eurovision gewinnen. Und weil er auf der Direttissima nicht vorankommt - wer möchte schon als kulturpolitischer Berater im Saarland enden? - versucht er es auf Seitenwegen. Er macht Abo-Werbung für EMMA, weil er nicht mitbekommen hat, wie lieb Alice Schwarzer Saddam Hussein hat. Bei der Gala »Lachen tut gut« sitzt er am »Prominententelefon« und sammelt Geld für das Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen. Um bei »Wetten, dass.« gesehen zu werden, fliegt er bis nach Mallorca, bei einer Anti-Haider-Demo in Wien tritt er als Redner auf, um den hilflosen Ostmärkern Mut zu machen. Bei einer Show im Berliner Wintergarten-Variete läßt er sich zusammen mit Monika Diepgen, der Frau des Bürgermeisters, dem australischen Botschafter Paul O’Sullivan und Friede Springer fotografieren. Beim Bundespresseball ist er überall zugleich, wie einst Genscher auf seinen Auslandsreisen. Und zwischendurch gibt er ein Interview zum Thema neuer und alter Antisemitismus, erinnert am 9. November »an die Zerstörung dessen, was man Zivilisation nennt« und nennt die multikulturelle Gesellschaft »kein Schimpfwort, sondern eine Bereicherung«, womit er zweifellos recht hat.

Kann man einen notorischen Adabei, der zwischen zwei Feten seine »politische und moralische Verantwortung« für die Gegenwart und die Zukunft entfaltet, ernst nehmen? Man kann, muss es aber nicht. Denn »Mischu« möchte nicht ernst genommen, er möchte nur wahrgenommen werden. Mal an der Seite von Katja Riemann (»Heißer Flirt mit Michel Friedman…«) bei der »Echo«-Verleihung in Hamburg, mal mit Jutta Speidel (»Sie teilen sich zärtlich eine Zigarette…«) beim Sportpresseball in Frankfurt, mal mit Bärbel Schäfer, die er bei der Verleihung des Deutschen Fernsehpreises in Köln kennengelernt hat.

Denn er ist nicht nur ein »Mann für die Zukunft« und »einer der faszinierendsten Männer Deutschlands«, »ein schöner Mann, nach dem sich Frauen und Männer umdrehen«, »ein Womanizer, ausstaffiert mit dem Charme eines Magiers« (BUNTE), er gibt sich alle Mühe, das Rähmchen, das die Klatschpresse für ihn aufgestellt hat, mit Leben zu erfüllen. Statt die BUNTE wegen Rufschädigung zu verklagen, läßt er sich von dem Blatt interviewen und dabei fragen »Wann werden Sie Bundeskanzler?« Worauf seine Antwort noch schräger daherkommt: »Ich habe nie an Ämter gedacht.«

Da es für das erste Amt in der Politik noch nicht reicht, hat sich die BUNTE letztes Jahr einen vollwertigen Ersatz ausgedacht: Platz 1 für »Bärbel Schäfer & Michel Friedman« auf der Top-1oo-Liste der »neuen Party-Elite«; bewährte Paare wie »Claudia Schiffer & Timm Jeffries« oder »Steffi Graf & Andre Agassi«, die ebenfalls Anspruch auf die Pole-Position gehabt hätten, mussten sich mit schlechteren Plätzen zufrieden geben. »Deutschlands intelligenteste Nachmittags-Talkerin« - im Fernsehen entspricht das der Position eines Kulturberaters im Saarland - und der »CDU-Politiker mit Kanzler-Ambitionen« waren das Paar der letzten Wintersaison. Michel Friedman, dessen Eltern von Oskar Schindler gerettet wurden, hat es weit gebracht, Bärbel Schäfer, die große Blonde mit den zu engen Blusen, aber auch.

Muss jetzt mit dem Schlimmsten gerechnet werden? Bärbel Schäfer konvertiert und wird eine richtige »jiddische Mamme«, mit breiten Hüften und kreischender Stimme. Als ob das Judentum nicht schon genug Katastrophen erlebt hätte.

28.9.2000

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